Die MSS-Theorie

Wie Verdampfer und Expansionsventil zusammenwirken

Mit Hilfe des MSS („Minimum Stable Superheat” oder „Minimales Stabiles Signal der Überhitzung”) kann das statische und dynamische Verhalten eines Verdampfers erklärt werden. Es wird das Zusammenwirken des Expansionsventils und des Verdampfers im Detail dargestellt und es werden praktische Hinweise zur Auswahl und zum Betriebsverhalten dieser Komponenten gegeben.

Kürzlich hatte einer der Autoren die Gelegenheit, mehreren Vorträgen beizuwohnen, in denen Ingenieurstudenten über ihre Projekte berichteten. Dabei ging es um Verdampfer, Wirkungsgrade, Microchannel-Wärmeübertrager usw. – alles interessante und zukunftsweisende Themen. Bei den nachfolgenden Diskussionen ist aufgefallen, dass diesen Studenten der Kältetechnik der Begriff MSS  („Minimum Stable Superheat” oder „Minimales Stabiles Signal der Überhitzung”) nicht bekannt war. Dies war umso erstaunlicher, weil ältere Kältefachleute mit praktischer Ausbildung diesen Begriff sehr wohl kennen. Da das MSS ein Hilfsmittel ist, um das statische und dynamische Verhalten von Verdampfern verstehen zu können, halten wir es für wichtig, dieses Thema wieder einmal zu beleben.

Zu Beginn der industriellen Kältetechnik wurde überwiegend mit überfluteten NH3-Anlagen gearbeitet. Erst später, als die sogenannten Sicherheitskältemittel (HFCKW, HFKW) zum Einsatz kamen, wurden automatisch geregelte Drosselorgane notwendig. Seit der Entwicklung und Einführung des thermostatischen Expansionsventils haben Kältetechniker sich gefragt, ob und warum ein Verdampfer nicht mit einer beliebig kleinen Überhitzung betrieben werden kann. Überflutete Verdampfer nutzen aufgrund der nicht vorhandenen Überhitzung die gesamte Verdampferfläche aus. Bei einem trockenen Verdampfer (DX - dry(e)xpansion) muss wertvolle Wärmeaustauscherfläche zum Überhitzen des Kältemittels bereitgestellt werden. Im Überhitzungsbereich des Wärmeaustauschers wird wenig Leistung übertagen, da die Wärmeübergänge von gasförmigem Kältemittel auf die innere Rohrwand viel kleiner sind als beim Phasenübergang von flüssigem zu gasförmigem Kältemittel – der Verdampfung. Somit ist es sinnvoll, die Überhitzung und die Überhitzungsflächen so klein wie möglich zu halten. Eine zu klein gewählte Überhitzung kann zu einem instabilen Betrieb der Kälteanlage führen, und es besteht die Gefahr von Flüssigkeitsschlägen am Verdichter. Auch ein scheinbar gut eingeregelter Verdampfer kann bei starken Laständerungen in Schwingung geraten. In der Praxis findet man bei Direktexpansionsverdampfern gewöhnlich Überhitzungen zwischen 6 K und 10 K, bei denen Verdampfer gewöhnlich einen stabilen Betrieb zeigen.

Die Überhitzung und deren Einfluss auf den Verdampfer

Grundlagen

Die Verdampfungs- und Überhitzungsstrecke beeinflussen wesentlich die Leistung eines Verdampfers. Im nachfolgenden Diagramm 1 ist der Temperaturverlauf eines Trockenverdampfungsprozesses schematisch dargestellt.

Vereinfachend wurde im Diagramm 1 der Verdampfer als idealer Gegenstromwärmeaustauscher angenommen. Diese Vereinfachung stellt keine schwerwiegende Verfälschung der Realität dar, da im 2-Phasen-Bereich die Temperatur des verdampfenden Kältemittels, unter Vernachlässigung der kältemittelseitigen Druckverluste, näherungweise konstant ist und somit eine Unterscheidung zwischen Gegen-, Kreuz- und Gleichstrom hinfällig wird. Die Überhitzungsstrecke wird sinnvollerweise am Lufteintritt des Verdampfers platziert, um die größtmögliche Temperaturdifferenz zur Erreichung einer deutlichen Überhitzung zu erhalten.

An einem Verdampfer können mehrere unterschiedliche Temperaturdifferenzen definiert werden. Die Lufteintrittstemperaturdifferenz dt1 ist die Differenz aus der Lufteintrittstemperatur tL1 und der Verdampfungstemperatur t0 am Austritt des Kältemittels und kann mittels Messung des Drucks an einer entsprechenden Stelle der Anlage ermittelt werden. Sie dient hauptsächlich zur Auslegung von Wärmeaustauschern, da die Lufteintrittstemperatur und die Verdampfungstemperatur dem Anlagenbauer bei der Projektierung als Randbedingung vorliegen. Die mittlere Temperaturdifferenz ∆tm ist ein theoretischer Wert, der in der Realität kaum nachgemessen werden kann. Sie stellt den Durchschnitt aller Temperaturdifferenzen auf der gesamten Wärmeaustauscherfläche dar. Bei reinem Gleich- oder Gegenstrom und konstanten Wärmeübergängen kann sie mit der bekannten Formel für die mittlere logarithmische Temperaturdifferenz berechnet werden. Die mittlere Temperaturdifferenz ist hauptsächlich für den Wärmeübertragerhersteller wichtig, da sie vom Luftmassenstrom und der Verteilung der wärmeübertragenden Medien beeinflusst werden kann.

Die Luftabkühlung ist die Differenz aus den Temperaturen des in den Verdampfer ein- und austretenden Luftstroms. Sie wird stark von der Luftgeschwindigkeit im Verdampfer beeinflusst. Die Mittentemperatur aus Zu- und Abluft eines Luftkühlers wird bisweilen auch als mittlere Raumluft eines ideal durchströmten Kühlraums betrachtet. Bei gleicher Eintrittstemperaturdifferenz ∆t1 haben überflutete Verdampfer eine größere mittlere Temperaturdifferenz ∆tm als Direktexpansionsverdampfer.

Dies ist aus Diagramm 2 sofort ersichtlich, da die fehlende Überhitzung bei überfluteten Verdampfern die Fläche zwischen den beiden Temperaturverläufen erhöht. Dem Vorteil der größeren mittleren Temperaturdifferenz steht jedoch die Tatsache gegenüber, dass die inneren Wärmeübergangskoeffizienten bei überfluteten Systemen niedriger liegen als bei Direktexpansionssystemen. Überflutete Verdampfer erfordern einen Flüssigkeitsabscheider nach dem Verdampfer. Der Flüssigkeitsabscheider kann eingespart werden, wenn sichergestellt wird, dass rein gasförmiges Kältemittel den Verdichter erreicht, was voraussetzt, dass ausschließlich gasförmiges Kältemittel den Verdampfer verlässt. Dies ist die Aufgabe des Expansionsventils.

Die MSS-Theorie

Zur Erläuterung der MSS-Theorie soll zunächst vereinfachend von folgender Situation ausgegangen werden: Ein lamellierter Verdampfer wird mit fester Ventilatordrehzahl mittels eines manuell einstellbaren Expansionsventils betrieben. Die Verdampfungs- und die Lufteintrittstemperatur werden konstant gehalten. Die Feuchte der Zuluft soll so gering sein, dass es zu keiner Zeit zur Kondensation oder zur Eisbildung auf den Lamellen kommen kann. Zuerst wird das Ventil relativ stark geschlossen. Beim Verdampfer stellt sich eine hohe Überhitzung ein. Dabei ist er nur unzureichend mit Kältemittel gefüllt und die Kälteleistung ist dementsprechend niedrig. Je weiter nun das manuelle Expansionsventil geöffnet wird, desto mehr Kältemittel gelangt in den Verdampfer, die Kälteleistung steigt und die Überhitzung wird kleiner. Ab einer gewissen weiteren Öffnung des Ventils wird ein Punkt erreicht, bei dem die Überhitzung keinen konstanten Wert mehr annimmt, sondern beginnt stochastisch zu schwanken – der MSS-Punkt ist erreicht. Es sei hier explizit darauf hingewiesen, dass dies ein Phänomen des Verdampfers ist, da es sich bei diesem Aufbau um ein manuelles Expansionsventil (und nicht etwa um ein thermostatisches Expansionsventil) handelt, das, sobald es einmal eingestellt ist, die Düsenöffnung nicht mehr verändert. Trotzdem kommt es auch bei diesem Drosselorgan zu teils erheblichen zeitlichen Schwankungen der Überhitzung. Wird das Ventil weiter geöffnet, verschwinden die Schwankungen wieder. Der Verdampfer fährt dann nass, flüssiges unverdampftes Kältemittel verlässt den Wärmeaustauscher. Dadurch kann es zu Verdichterschäden kommen. Zumindest wird es zu Wirkungsgradverschlechterungen des Verdichters führen. Der Effekt, dass nur gering überhitztes Sauggas fast immer eine teils erstaunlich hohe Anzahl von mitgerissenen Tröpfchen enthält, die nicht im thermischem Gleichgewicht mit dem überhitzten Gas stehen, und dadurch zu spürbaren Liefergradverschlechterungen am Verdichter führt, wurde schon 1974 von Prof. Reichelt ausführlich beschrieben [1].

Die sich durch das schließende Ventil ergebende Linie, die die Kälteleistung in Abhängigkeit von der Überhitzung darstellt, wird Verdampferkennlinie genannt. Der oben beschriebene Vorgang ist in Diagramm 3a als Verdampferkennlinie dt1A bezeichnet.

Bisher wurde nur ein MSS-Punkt gefunden. Das oben beschriebene Vorgehen kann jetzt bei weiterhin fester Verdampfungstemperatur für andere feste Lufteintrittstemperaturen wiederholt werden. Wird eine niedrigere Lufteintrittstemperatur gewählt, so wird zum einen die maximal mögliche Überhitzung kleiner (rechter Rand der Kurve) und zum anderen wird die maximal mögliche Verdampferleistung kleiner (linker Rand der Kurve). Auch auf der neuen Verdampferkennlinie befindet sich ein MSS-Punkt, der sich links unterhalb des alten MSS-Punktes befindet (beispielsweise dt1B in Diagramm 3a). Wenn man diesen Vorgang für mehrere Lufteintrittstemperaturen, d.h. für mehrere treibende dt1, wiederholt und die jeweiligen MSS-Punkte miteinander verbindet, kommt man zur sogenannten MSS-Linie (Digramm 3b).

Nahezu denselben Verlauf der Verdampferkennlinien und der MSS-Linie hätte man erhalten, wenn die Lufteintrittstemperatur konstant gehalten worden wäre und man die Verdampfungstemperatur variiert hätte. Entscheidend ist, dass das dt1 variiert wird, um die Verdampferleistung zu beeinflussen. Dies war die historische Herangehensweise bei der Entwicklung der MSS-Theorie (siehe Kapitel Historie).

In der Praxis wird die Verdampferleistung jedoch nicht nur von der treibenden Temperaturdifferenz dt1 beeinflusst, sondern – vermutlich sogar öfters – durch Vereisung, Verschmutzung oder veränderte Luftströmungsverhältnisse, also einer Variation der tatsächlichen Wärmeübertragereigenschaften (k∙A). Die daraus entstehenden Verdampferkennlinien und auch die dazugehörigen MSS-Punkte unterscheiden sich im Vergleich zu denen aus Diagramm 3b. Ein Verdampfer, der einen geringeren Wärmeübergang aufweist, wird bei gleichem dt1 eine geringere Verdampferleistung aufweisen. Als Gedankenexperiment sei beispielsweise angenommen, dass ein gewisser Anteil von Wärmeaustauschersträngen komplett blockiert sei. In diesem Fall reduziert sich die Verdampferleistung entsprechend des Verhältnisses aus blockierten und offenen Wärmeaustauschersträngen. Der MSS-Punkt wird jedoch bei nahezu derselben Überhitzung zu finden sein, wenn man vereinfachend annimmt, dass die Kältemittelströmungsverhältnisse in den offenen Strängen von der Blockierung anderer Stränge unbeeinflusst bleiben. Diese Situation ist in Diagramm 3c dargestellt.

Es ist einleuchtend, dass der neue MSS-Punkt nicht auf der alten MSS-Linie liegen kann, da er bei gleichem dt1 und gleichgroßer Überhitzung geringere Kälteleistung aufweist. Vielmehr befindet er sich auf einer anderen MSS-Linie, die, wie oben beschrieben, bestimmt werden könnte, indem mit Hilfe eines manuellen Ventils und bei festem dt1 unterschiedliche Überhitzungen eingestellt und die MSS-Punkte gesucht werden. Somit gehört zu jedem Bereifungszustand, zu jeder Ventilatordrehzahl oder allgemein gesprochen zu jedem k∙A-Wert eines Verdampfers eine eigene MSS-Linie. Es ist also falsch zu meinen, dass zu jedem Verdampfer eine eindeutige MSS-Linie gehört. Es handelt sich vielmehr um einen Bereich, in dem sich unterschiedliche MSS-Linien eines Verdampfers befinden. Dieser Zusammenhang wurde auch schon von Dr. Huelle [6] angedeutet.

Die MSS-Linie wird in der Fachliteratur bisweilen als Verdampferkennlinie bezeichnet, was jedoch aus Sicht des Verdampferherstellers nicht stimmt. Ansonsten würde bei einer Überhitzung von 0 K auch die Verdampferleistung gegen Null gehen. Die Verdampferkennlinie eines Verdampfers gibt die Leistung bei entsprechender Überhitzung wieder und entspricht nicht der MSS-Linie. Die MSS-Linie könnte erklärend auch als Verdampferstabilitätskennlinie bezeichnet werden.

Im Bereich links von der MSS-Linie befindet sich der Verdampfer in einem instabilen Zustand, die Überhitzung schwankt zufällig. Rechts von der MSS-Linie kann der Verdampfer in einem stationären, stabilen Zustand betrieben werden. Dieses Verhalten ist unabhängig von der Art des Expansionsventiles. Das Regelverhalten eines thermostatischen Expansionsventils wird im Normalfall die instationären Zustände eher noch verstärken und die Schwankungen erhöhen. Dieser Zustand wird dann als „hunting“ bezeichnet.

Das Verhalten eines Verdampfers, so wie es in Diagramm 3b dargestellt ist, kann übersichtlicher beschrieben werden, wenn man die Einheiten beider Koordinatenachsen jeweils durch dt1 teilt. Die Einheit der x-Achse wird dadurch dimensionslos und als Überhitzungsgrad bezeichnet. Der Überhitzungsgrad ergibt sich aus dem Verhältnis der Verdampferüberhitzung ∆t0h und der Differenz ∆t1 zwischen Lufteintrittstemperatur am Kühler und der Verdampfungstemperatur. Die Einheit der y‑Achse wird nun zu einer Leistung pro Temperaturdifferenz und beschreibt gewissermaßen den k∙A‑Wert eines Wärmeübertragers. Sofern man den zulässigen Bereich der treibenden Temperaturdifferenzen auf vernünftige Werte beschränkt, fallen die verschiedenen Verdampferkennlinien, unter Zulassung einer gewissen Streuungsbreite, zu einer, gewissermaßen normierten Verdampferkennlinie zusammen (Diagramm 4).

Diese Auftragung ist Grundlage für die Bestimmung der Nennleistung eines Verdampfers nach Vorgabe der europäischen Norm EN 328. In dieser Norm werden mehrere Standardbedingungen definiert, die sich vom Tieftemperaturbereich bis zu Temperaturen zur Raumklimatisierung erstecken und auch unterschiedliche dt1 vorschreiben. Die Nennleistung zu jeder Standardbedingung wird jedoch immer bei einem Überhitzungsgrad von 0,65 angegeben (siehe Diagramm 4). Bewegt man sich entlang der Verdampferkennlinie vom Überhitzungsgrad 0,65 aus nach links, wird die Verdampferleistung zunehmen, jedoch vergrößert sich die Gefahr, den MSS-Punkt zu überschreiten. Verschiebt sich der Betriebspunkt entlang der Verdampferkennlinie nach rechts, gerät das System zunehmend in den stabilen Bereich, was jedoch mit einer Verdampferminderleistung erkauft wird.

Der Überhitzungsgrad von 0,65 ist ein relativ kleiner Wert, der in Laboranlagen eingestellt werden kann, aber bei Anlagen in der Praxis deutlich höher liegt. Unseres Wissens wurde dieser Wert das erste Mal von Uwe Schmitz, ehemals Entwicklungsleiter bei Küba, auf der DKV-Tagung 1983 in Flensburg genannt [2].

Historie

Mit der Trockenverdampfung und dem Zusammenspiel von Verdampfer und Expansionsventil haben sich besonders die Hersteller von Expansionsventilen seit Jahrzehnten beschäftigt. Ausgehend von automatischen Expansionsventilen (Konstantdruckventile) suchte man nach Ventilen, die den Verdampfer ausreichend mit Kältemittel füllten, ein stabiles Regelverhalten auswiesen und zuverlässig Flüssigkeitsschläge am Verdichter vermieden.

Im Jahre 1966 konnte Prof. Stoecker mit Hilfe eines Glasrohrverdampfers zeigen, wie die Flüssigkeitsfront in einem Verdampfer, also der Punkt an dem die Flüssigkeit beinahe vollständig verdampft ist, ein zeitlich und örtlich stochastisches Verhalten aufwies [3]. Dieser Artikel inspirierte Dr. Huelle, den damaligen Leiter der Entwicklung in der Kälteabteilung der Fa. Danfoss, zur Durchführung von Messungen an luftbeaufschlagten Verdampfern. Seine Ergebnisse zeigten, dass sich auch die Überhitzungstemperatur eines Verdampfers stochastisch verhielt. Der Begriff des „minimal stabilen Signals - MSS“ wurde das erste Mal 1967 von Dr. Huelle in einem Vortrag auf dem XII. International Re­frigeration Congress [4,5] und später in einem Artikel [6] im Danfoss Journal verwendet und darin die thermodynamischen Zusammenhänge ausführlich beschrieben. Auf Grund seiner gewonnenen Erkenntnisse begann Dr. Huelle dann mit der Entwicklung von elektronischen Expansionsventilen. Das Ziel war, ein Regelverhalten zu schaffen, das die Kennlinie von elektronischen Expansionsventilen im gesamten Lastbereich dicht an der aktuellen MSS-Linie hält. Das bedeutete, der Regler selbst musste den MSS-Punkt erkennen, um die Überhitzung in deren Nähe zu regulieren. Im Jahr 1970 wurde das erste mikroprozessorgesteuerte elektronische Expansionsventil im Danfoss-Versuchsstand getestet, welches die Grundlage für die künftige Entwicklung der elektronischen Expansionsventile, wie zum Beispiel die TQ- und AKV-Serie und deren Regler, bildete.

Das thermostatischen Expansionsventil (TEV) in der Praxis

Auswahl

Um die Nennleistung eines Verdampfers zu erreichen, ist die richtige Auswahl des TEV maßgeblich. Aus diesem Grunde ist es wichtig, speziell aus der Sicht des Verdampferherstellers, darauf näher einzugehen. Die Verflüssigungs- und Verdampfungstemperatur werden bei der Projektierung als bekannt vorausgesetzt. Vom Eintritt des Kältemittels in den Verflüssiger bis zum Austritt aus dem Verdampfer müssen mehrere Druckverluste berücksichtigt werden. Die internen Druckverluste des Verflüssigers und des Verdampfers inklusive Kältemittelverteiler werden vom Wärmeübertragerhersteller angegeben. Die Rohrleitungs- und Armaturendruckverluste müssen vom Anlagenplaner berechnet werden. Dann kann die im Auslegungspunkt verbleibende Druckdifferenz über das Expansionsventil eindeutig bestimmt werden. Als Beispiel soll dem Expansionsventil eine Druckdifferenz von 6 bar zur Verfügung stehen und der Verdampfer soll eine Nennleistung von 5 kW erbringen (siehe Diagramm 5).

Diagramm 5 zeigt die Leistungskurven eines TEV mit drei verschiedenen Düsengrößen und den Auslegungspunkt. Das TEV mit Düse C scheidet aus, da es die Nennleistung auch bei höheren Druckdifferenzen nicht erreichen kann. Man würde nun das nächst größere TEV mit Düse A wählen, das die erforderte Kälteleistung erbringt. Die Nennleistung dieses Ventils beträgt bei diesem Zustand ca. 6 kW. Da der Verdampfer nur 5 kW abführen kann, wird sich das Ventil auf einen Öffnungsgrad von rund 85 % einstellen. Die Nennkälteleistung von 5 kW könnte das Expansionsventil auch noch bei einer Druckdifferenz von 3,5 bar erbringen. In diesem Zustand wäre das Expansionsventil dann bei einem Öffnungsgrad von 100 % ganz geöffnet. Dies bedeutet, dass der Verflüssigungsdruck um 2,5 bar abgesenkt werden könnte, ohne dass die Nennkälteleistung unterschritten werden würde. Der Verdichter der Kälteanlage könnte mit höherem Wirkungsgrad betrieben werden. Würde man eine Düse größer wählen (TEV mit Düse B), könnte man den Verflüssigungsdruck sogar um 5 bar absenken. Dies würde jedoch im Auslegungsfall (∆p = 6 bar) bedeuten, dass das Ventil bei einem Öffnungsgrad von nur noch 50 % betrieben werden müsste. Dies ist bei thermostatischen Expansionsventilen schon grenzwertig, da die Regelqualität mit sinkendem Öffnungsgrad abnimmt.

Ein thermostatisches Ventil benutzt die Überhitzung am Kältemittelaustritt des Verdampfers als Maß für seinen Öffnungsgrad. Dazu wird zum einen die Überhitzungstemperatur mit einem Temperaturfühler an der Saugrohraußenwand als auch die Verdampfungstemperatur ermittelt. Erst ab einer gewissen Mindestüberhitzung, der sogenannten statischen Überhitzung ∆tüs, beginnt das TEV zu öffnen. Der Öffnungsgrad steigt nun linear mit zunehmender Überhitzung, bis das Ventil bei einer gewissen Öffnungsüberhitzung ∆tüö seine maximal offene Stellung erreicht hat. Die statische Überhitzung kann im Allgemeinen mit einer Stellschraube vom Anwender beeinflusst werden. Die Öffnungsüberhitzung kann nicht verändert werden. Beide werksseitig eingestellten Überhitzungswerte unterscheiden sich von Hersteller zu Hersteller und teilweise auch von Ventiltyp zu Ventiltyp (siehe Diagramm 6). Mit Bezug auf thermostatische Expansionsventile wird allgemein bei der Summe aus statischer und Öffnungsüberhitzung von Arbeitsüberhitzung ∆tüa gesprochen und gleichzeitig wird als Eigenschaft des Verdampfers die Verdampferüberhitzung ∆t0h verwendet. Beide Angaben beschreiben natürlich dieselbe physikalische Temperaturdifferenz.

Betrachten wir nun den zuvor erwähnten TEV-Auslegungspunkt in Diagramm 6 mit Augenmerk auf die statische Überhitzung und auf die Verdampferstabilitätskennlinie. Die Ventilkennlinie TEV A, mit werksseitig eingestellter statischer Überhitzung tüs, schneidet an keiner Stelle die MSS-Linie. Dies gewährleistet ein stabiles Regelverhalten zwischen TEV und Verdampfer über den gesamten Leistungsbereich.

Das mit größerer Düse gewählte TEV B würde mit sinkender Regelqualität bei einem Öffnungsgrad von 50 % arbeiten und befindet sich größtenteils links der MSS-Linie. Ein stabiles Verhalten ist nicht gewährleistet, wobei sich das sogenannte „hunting“ einstellt. Die Auswahl eines Expansionsventils stellt somit immer eine Optimierungsaufgabe dar, die zwischen gutem Regelverhalten des Expansionsventils und ausreichender Kälteleistung gelöst werden muss.

Das aus der Praxis bekannte Phänomen, dass stark bereifte Verdampfer zum hunting neigen, lässt sich leicht am Diagramm 6 erklären. Sobald die Wärmeübertragungseigenschaften schlechter werden, sinkt die MSS-Linie nach unten. Wäre die Ventilkennlinie im unbereiften Auslegungsfall noch knapp im stabilen Bereich, wird das Absinken der MSS-Linie dazu führen, dass die Ventilkennlinie dann auch in Teilen des instabilen Bereichs zu liegen kommt und große Schwankungen in der Überhitzung wahrscheinlich werden.

Nicht außer Betracht zu lassen ist die richtige TEV-Fühlerposition, als auch deren Zeitverhalten aufgrund verschiedener Füllungsarten wie Gas-, Gasballast, Flüssig- oder Adsorptionsfüllung. Sobald man sich für eine Düse entschieden hat, liegt auch die minimal erforderliche Druckdifferenz fest und damit die minimal mögliche Verflüssigungstemperatur für diese Kühlstelle [8].

Die Handhabung des TEV

Mit den Erkenntnissen aus der MSS-Theorie werden auch die Folgen einer Verstellung der statischen Überhitzung am TEV klar und führen so zu einer sinnvollen Vorgehensweise zur Einregulierung von TEV (siehe Diagramm 7). Man öffnet das TEV an der Einstellschraube für die statische Überhitzung langsam so weit, bis die Überhitzungstemperatur messbare Schwankungen zeigt. Danach schließt man es bis zu dem Zustand, bei dem die Schwingungen aufhören und stellt somit sicher, dass man sich möglichst nahe, aber auch definitiv rechts von der MSS-Linie befindet. Sinnvollerweise sollte diese Einstellung bei einer realistischen und zulässigen Bereifung des Verdampfers durchgeführt werden. Dieses Verfahren hat sich bewährt und muss fester Bestandteil bei der Auswahl und der Einstellung von thermostatischen Expansionsventilen sein.

Auslegungshilfen

Jeder Verdampfer hat seinen eigenen MSS-Kennlinienbereich. Die MSS-Linien steiler zu machen und dadurch den instabilen Bereich links von den MSS-Linien möglichst klein zu halten, ist die Aufgabe und eine große Herausforderung für die Verdampferhersteller. Rohrschaltung, Passlänge,  Kältemittel, Ölgehalt, Wärmeübergänge, Druckverluste als auch die genaue Luftbeaufschlagung beeinflussen nicht nur die Verdampferkennlinie, sondern eben auch die Verdampferstabilitätskennlinie. Diese Vielzahl von Einflussgrößen macht es dem Verdampferhersteller völlig unmöglich die beiden Kennlinien quantitativ anzugeben, da sie für jeden einzelnen Wärmeaustauscher ausgemessen werden müssten. Sehr wohl gibt es jedoch Richtlinien zur Konstruktion von Verdampfern, die einen kleinen MSS-Wert begünstigen. Dies ist wichtiges Know-how der Hersteller. Wie oben beschrieben, wäre der Nutzen einer genauen Kenntnis der MSS-Linie für den fabrikneuen Zustand eines Verdampfers auch relativ gering, da sie sich während des Betriebs ändern wird.

Güntner bietet die Möglichkeit, bei Verwendung der Kältemittel R134a, R404A und R507 Verdampfer standardmäßig mit angebautem thermostatischem Expansionsventil von Danfoss werkseitig auszustatten. Dementsprechend wurde schon seit einigen Jahren die Auslegungssoftware GPC um ein TEV-Modul mit hinterlegten Danfoss-Ventilkennlinien erweitert (siehe Tabelle 1) [7].

Mit diesem Modul kann der Projektant thermostatische Expansionsventile exakt auf den jeweiligen Verdampfer und die Betriebsbedingungen auslegen, ohne in ein anderes Programm, z.B. das des Expansionsventilherstellers wechseln und die Randbedingungen erneut eingeben zu müssen. Es werden mindestens zwei passende Ventile vorgeschlagen und der Anwender kann nun entscheiden, ob er das größere Ventil mit Leistungsreserve oder das kleinere mit höherer Regelgüte bevorzugt. Von großem Vorteil ist, dass der Öffnungsgrad des TEV im Auslegungszustand berechnet und die minimale Verflüssigungstemperatur ausgegeben werden. Damit kann dann der Sollwert zur Verflüssigerregelung exakt ermittelt werden und verhindert unnötig hohe und energieverschwendende Verflüssigungsdrücke [8].

Jedoch entbindet diese exakte Ventilauswahl nicht davon, das TEV bei Inbetriebnahme der Anlage auf die tatsächlichen Umgebungsbedingungen einzustellen.

Zusammenfassung

Aus heutigem Standpunkt kann man wohl sagen, dass die MSS-Theorie noch immer gültig ist und einen wichtigen Beitrag zum Verständnis zum Betriebsverhalten von Verdampfern leistet. Der stabile und effiziente Betrieb eines Verdampfers und damit der Anlage ist wesentlich von der Überhitzung abhängig. Sie sollte so klein wie möglich, aber auch groß genug sein, um eine stabiles Gesamtverhalten der Verdampfer-Expansionsventil-Regelstrecke zu gewährleisten. Eine nicht mehr stabil ausgeregelte Überhitzung lässt das System Verdampfer-Expansionsventil pendeln und sollte schon aus energetischer Sicht vermieden werden. Die MSS-Theorie hilft diese Zusammenhänge verständlich zu machen.

Literaturhinweise

[1] Reichelt, J.: „Unverdampfte Flüssigkeitsanteile im überhitzten Kältemittelsauggas und ihr Einfluss auf den Kältekreisprozess”, Dissertation an der Universität Stuttgart, (1974).
[2]  Schmitz, U: „Luftbeaufschlagte Verdampfer für die Wärmequelle Luft”, DKV-Jahrestagung in Flensburg (1983).
[3] Wedekind, G. L., Stoecker W. F.: „Transient Response of the Mixture - Vapor Transition Point in Horizontal Evaporation Flow”, ASHRAE Transactions, Vol. 72, Part II, (1966).
[4] Huelle, Z. R.: „Heat load influences upon evaprator parameters”, Report No. 3.32 XII International Refrigeration Congress in Madrid.
[5] Huelle, Z. R.: „Thermal balance of evaporators fed through thermostatic expansion valves” Report No. 3.33 XII International Refrigeration Congress in Madrid.
[6] Dr. Z. R. Huelle: „Points of View on Evaporator Liqiud Supply Control by Thermostatic Expansion Valves”, Danfoss Journal RE.01.A1.02.
[7] GPC: „Güntner Product Calculator”, Günter AG & Co. KG Fürstenfeldbruck, GPC-Auslegungssoftware 2015.
[8] Roth, P.: „Energieeinsparung auf der Hochdruckseite einer Kälteanlage”, KI 3/2008

Formelzeichen und Einheiten

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