BHKW nutzt Abwärme

Thermisches Kühlsystem in der Putenzucht

Eine Kälteleistung von 70 kW, das Blockheizkraftwerk mit 350 kW und ein Kältespeicher von 8000 l Wasser – das sind die technischen Eckdaten der thermischen Kühlanlage in einem Putenmastbetrieb im niedersächsischen Varrel. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das biogasbetriebene Blockheizkraftwerk nutzt die Abwärme zur Kühlung des Stalls und spart dem Landwirt dadurch Stromkosten, erhöht die Energieeffizienz, reduziert den CO2-Ausstoß und ermöglicht insbesondere im Sommer ein Wohlfühlklima für die Puten.


Im Rahmen des Forschungsprojektes „nordwest2050-Perspektiven für klimaangepasste Innovationsprozesse in der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten“ wurde jetzt erstmalig in der Masttierzucht in Deutschland ein thermisch angetriebenes Kühlungssystem eingesetzt.

Das Herzstück –
die Absorptionskältemaschine

Das Thema Kühlen wird angesichts der globalen Klimaerwärmung immer wichtiger. Die konventionelle Technik der Kühlung – die Kompressionskältetechnik – verwendet Strom als Antriebsenergie. Zudem werden in den meisten Fällen Kältemittel eingesetzt, die, sofern sie in die Umwelt gelangen, den Treibhauseffekt fördern. Die thermische Kühlung dagegen nutzt keinen Strom, sondern Wärme als Antriebsenergie. Dabei sind verschiedene Wärmequellen als Antriebsenergie einsetzbar: Solarwärme, Nah-/ Fernwärme, BHKW- bzw. KWK-Abwärme, Biomasse (Stückholz, Hackschnitzel, Biogas) und Prozessabwärme. Bei dem im Putenstall verwendeten, von der bayerischen Firma SolarNext (www.solarnext.eu) entwickelten Ad- und Absorptionskältesystem „chillii Cooling Kit WFC70“ einschließlich des „chillii“-System-Controllers „HC“ wird die Abwärme eines biogasbetriebenen Blockheizkraftwerks als Antriebsenergie verwendet. In dem Putenstall mit einer Fläche von 900 m² werden 3000 Puten gehalten; er wird über Gewebeschläuche gekühlt. Bisher ging die Abwärme völlig ungenutzt in die Atmosphäre.

Zentrale Steuerungseinheit
regelt Gesamtsystem

Das Gesamtsystem funktioniert wie folgt: Der speziell für die Sorptionstechnologie entwickelte Systemregler übernimmt das Wärmemanagement des Absorptionssystems. In den „chillii“-Cooling-Kits werden Hocheffizienzpumpen eingesetzt, die aufgrund der analogen Ansteuerung mittels 0-bis-10-V-Signal sehr energieeffizient betrieben werden können. Diese bedarfsgerechte Drehzahlregelung verringert den elektrischen Energieverbrauch stark. Da nur eine Regelung für die Gesamtanlage notwendig ist, wird insgesamt eine sehr hohe Effizienz des Gesamtsystems erreicht. Betriebsrelevante Steuersignale und Messwerte (Temperaturen, Volumenströme etc.) können von einem integrierten Datenlogger aufgezeichnet, auf einer SD-Karte im System-Controller gespeichert und ausgewertet werden. Mittels Feinjustierung kann das Absorptionssystem entsprechend seinem individuellen Betriebsverhalten optimal in die bestehende Anlage integriert werden.

Das Biogas-BHKW verfügt über eine Antriebswärme von 95 °C und eine Leistung von 350 kW. Das Kühlsystem benötigt hiervon nur eine Leistung von etwa 130 kW. Da hier die Wärme kontinuierlich zur Verfügung steht, wird ein Wärmespeicher nur zur hy­drau­li­schen Trennung benötigt. Die Einrichtung eines Speichervolumens zur Pufferung der Wärmeversorgung im Winter oder zur Warmwasserbereitung ist möglich. Das zur Prozesskühlung eingesetzte Kühlsystem – die Sorptionskältemaschine – verfügt über eine Nennleistung von 70 kW, bei einer Antriebstemperatur von 95 °C (Nennbetriebspunkt 88 °C) kann die Nennkälteleistung von 70 kW auf 85 kW erhöht werden, die Betriebstemperaturen des Kaltwassers betragen 7 °C  bis 15 °C. Aufgrund der höheren Kälte- und Antriebsleitung wird auch eine größere Rückkühlleistung benötigt. Hierzu wird ein größerer Nasskühlturm mit einer Nennleistung von ca. 250 kW eingesetzt.

Neben der Speicherung der Kälte dient der Kaltwasserspeicher auch zur hydraulischen Trennung der „chillii“-Cooling-Kits von den Verbraucherkreisen, die deshalb an den Pufferspeicher Kaltwasser angeschlossen werden. Durch den System-Controller wird die Kühlleistung des Systems, also Temperaturniveaus und Temperaturspreizungen, automatisch an die Kühllast angepasst, Pumpen, Mischer sowie die Rückkühlung werden drehzahlgeregelt gesteuert. Das spart nicht nur Hilfsenergie, sondern sichert notwendige Temperaturniveaus sowie Spreizungen von Vor- und Rücklauftemperaturen.

Das Kühlen-mit-Wärme-Prinzip

Beim Kühlen mit Wärme wird mithilfe von Wärme als Energiequelle Kälte erzeugt. Dafür werden spezielle thermische Kältemaschinen, sogenannte Absorptionskältemaschinen, eingesetzt. Die so erzeugte Kälte wird bei der Raumklimatisierung zur Kühlung verwendet. Generell machen Kältemaschinen Verdunstungskälte nutzbar, die entsteht, wenn eine Flüssigkeit verdampft. Dieser physikalische Vorgang entzieht der Umgebung Wärme und senkt so die Temperatur. Übertragen auf die Trägermedien Wasser und Luft wird diese Kältewirkung zur Kühlung eingesetzt.

Neben einer angenehmen Raumtemperatur ist die Luftfeuchtigkeit ein wichtiger Faktor. Deshalb ist in vielen warmen Regionen der Erde die Luftentfeuchtung eine zentrale Aufgabe klimatechnischer Anlagen. Das mittels Wärme erzeugte Kaltwasser wird als Medium benutzt. Dieses Kaltwasser wird zur Kühlung der Raumluft in Klimaanlagen verwendet oder über ein Kaltwassernetz zu dezentralen Kälteaggregaten geleitet. Das Grundprinzip aller thermischen Kältemaschinen ist die Sorption, also die Bindung des Kältemittels in einer chemischen Lösung (Absorption) oder an der Oberfläche eines Festkörpers (Adsorption). Der Begriff Absorption stammt von dem lateinischen Begriff „absorptio“ und bedeutet saugen, absaugen oder auch aufsaugen. Damit die Absorptionsstoffe wieder Feuchtigkeit speichern können, werden diese durch Wärme getrocknet.

Absorptionskältemaschinen sind die weltweit am häufigsten verbreiteten Kältemaschinen. Als Träger werden ein flüssiges Kältemittel und ein flüssiges Lösungsmittel verwendet. Die Antriebswärme ersetzt die elektrische Energie eines mechanischen Kompressors. Für Kaltwasser über 0 °C, das üblicherweise zur Klimatisierung verwendet wird, wird eine Wasser-/Lithiumbromid-Lösung eingesetzt, wobei Wasser als Kältemittel dient. Die Kühlwirkung basiert auf der Verdampfung des Kältemittels Wasser im Verdampfer. Durch ein niedriges Druckniveau verdampft das Wasser bereits bei 4 bis 7 °C und erzeugt dabei die nutzbare Kälteenergie. Man spricht in diesem Zusammenhang von Verdunstungskälte. Der Absorber absorbiert den Kältemitteldampf und es entsteht eine konzentrierte Lösung. Die Lösung wird auf ein höheres Druck­niveau in einen Generator gepumpt. Hier wird durch Zufuhr von Wärme das Kältemittel ausgedampft und in den Kondensator geleitet. Das Kondensat fließt über ein Ventil zurück in den Verdampfer und wird erneut aufgeheizt.

Die typische Leistung für Absorptionskältemaschinen liegt zwischen 30 und 100 kW. Mit einer Absorptionskältemaschine erschließen sich in Kombination mit einem Blockheizkraftwerk (BHKW) weitere Einsatzgebiete in der Industrie. Die Kraft-Wärme-Kälte-Koppelung (KWKK) macht es möglich, dass die erzeugte Wärme eines BHKW in Kälte umgewandelt und zum Kühlen verwendet werden kann. Dies ist immer dann von Vorteil, wenn überschüssige Wärme nicht genutzt werden kann, wie beispielsweise in den Sommermonaten.

Großer Nachholbedarf, aber auch nachhaltiges Interesse in Tierzuchtbetrieben

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) wurden 2011 in Deutschland insgesamt 8,2 Mio. t Fleisch gewerblich erzeugt (gegenüber 2010 +1,5 %), darunter die Geflügelfleischerzeugung, die um 43 200 t (+3,1 %) auf eine Jahresproduktion von 1,4 Mio. t stieg. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Putenerzeuger gibt es in Deutschland rund 6500 Geflügelhalter. Das zeigt das Marktpotential für effiziente Energieerzeugung sowie ressourcen- und damit kostenschonende Mastbetriebe auf.

Der aktuelle DLG-Trendmonitor Europa von November belegt das mit konkreten Investitionsüberlegungen von Betriebsleitern deutscher Landwirtschaftsunternehmen: Bei den Investitionsplänen liegt der Schwerpunkt laut DLG auf der Tierhaltung: 44 % der in Deutschland geplanten Investitionen fließen in diesen Bereich, 14 % in die Bioenergie. Die Besucher der Mitte November 2012 in Hannover stattgefundenen Fachmesse EuroTier interessierten sich laut einer Umfrage vor allem für die tierartenübergreifenden Ausstellungsthemen Stall- und Hallenbau (44 %), Bioenergie (22 %) und Klima- und Umwelttechnik (18 %). Die parallel zur EuroTier stattgefundene BioEnergy Decentral hatte als Themenschwerpunkte „Bioenergie – Technik & Service“, „Dezentrale Energieversorgung“ und „Smart Energy“. Das bestätigt, dass sich Landwirte für bedarfsgerechte, ressourcenschonende Energie­erzeugung interessieren.

Der Verband VDMA Power Systems erwartet, dass durch den Umbau der Energieversorgungsstruktur mit einem wachsenden Anteil Erneuerbarer Energien die Energieversorgung in Zukunft dezentraler werden wird. Die Anforderungen an die Flexibilität des Gesamtsystems steigen laut VDMA beträchtlich an, wobei steuerbare Erzeugungsanlagen eine zentrale Rolle spielen werden. Sie können bedarfsgerecht die Leistung liefern, die sich aus der Differenz der Stromnachfrage und der nicht regelmäßig zur Verfügung stehenden Stromerzeugung (z.B. aus Sonne und Wind) ergibt.

Das unterstreicht die zu erwartende Nachfrage nach innovativen Energieerzeugungs- und Heizungs-/Kühlanlagen in der Tiermast wie sie zum Beispiel thermische Kühlsysteme bieten – und das nicht nur in Deutschland.

Das thermische Kühlsystem
im Detail

SolarNext-“chillii“-Cooling-Kit „WFC70“
„chillii“-System-Controller „HC“
Bedienung: Touchscreen
elektrischer Anschluss: 1Ph ~ 110–230 V/50–60 Hz
inkl. der erforderlichen Temperatursensoren


„chillii WFC70“-Absorptionskältemaschine
Gewicht: 1156 kg
max. Leistungsaufnahme: 0,26 kWel
Speichererweiterung auf etwa 6 kWel möglich
Arbeitslösung: Wasser/Lithiumbromid
Nennleistung: 70 kW
Nenntemperaturen: 12,5 °C/7 °C


Nasskühlturm
Abmessungen (B x T x H): 1,62 x 1,62 x 3,27 m
Gewicht: 1700 kg
Frequenzumrichter zur Regelung der
Lüfterdrehzahl
inkl. Schwimmer- und Magnetventil
zur Befüllung
inkl. Entleereinrichtung zur Spülung und
bei Frostgefahr


Heißwasserkreis (Antriebskreis)
leistungsgeregelte Umwälzpumpe
Mischer mit Stellantrieb


Rückkühlkreis
Umwälzpumpe
Mischer mit Stellantrieb


Installation
D. Meyer Kühlanlagen GmbH ,
27793 Wildeshausen
www.meyer-kuehlanlagen.de

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