Sag zum Diesel leise Servus

Interview mit Rechtsanwalt Jens Oliver Lohrengel zum Thema Fahrverbote

Nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig drohen bundesweit Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Wir haben mit Rechtsanwalt Jens Oliver Lohrengel über die Folgen der Entscheidungen für Handwerker gesprochen. Er zeigt verschiedene Wege auf, wie man sein altes Fahrzeug loswird.

KKA: Herr Lohrengel, man hat gerade den Eindruck, ganz Deutschland diskutiert über die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zur Luftreinheit. Können Sie uns erklären, worum es dabei gegangen ist?

Jens Oliver Lohrengel: Also zunächst einmal handelt es sich um zwei Verfahren, über die die Leipziger Richter zu entscheiden hatten. Die Deutsche Umwelthilfe hatte gegen die Ausführung der Luftreinhaltepläne von Stuttgart und Düsseldorf geklagt und von den jeweiligen Verwaltungsgerichten in Stuttgart und Düsseldorf Recht bekommen. Diese erstinstanzlichen Entscheidungen haben die betroffenen Städte mit einer Sprungrevison angefochten. Dabei wird die zweite Instanz, das Berufungsverfahren, übersprungen und direkt das letztinstanzliche Gericht angerufen, in diesem Fall das Bundesverwaltungsgericht. Und das hat die Revision überwiegend zurückgewiesen.

KKA: Was steht denn in dem Urteil überhaupt drin?

Lohrengel: Zunächst muss man vorausschicken, dass alle Städte verpflichtet sind Luftreinhaltepläne aufzustellen. Falls Grenzwerte für Schadstoffe überschritten werden, müssen sie Gegenmaßnahmen einleiten. In Stuttgart und Düsseldorf werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid seit Jahren überschritten. Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe hätten die Städte daher ihre Luftreinhaltepläne ändern und zum Beispiel auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge prüfen müssen.

Das haben die erstinstanzlichen Gerichte auch so gesehen, und deren Entscheidungen wurden jetzt vom Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen bestätigt. Allerdings ist das eigentliche Urteil noch gar nicht veröffentlicht. Bisher gibt es nur die Pressemitteilung des Gerichts. Daraus geht hervor, dass sowohl das EU-Recht als auch das Bundesrecht die Kommunen dazu verpflichten, die Zeiträume für Überschreitungen der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

KKA: Wieso sperren sich denn die Städte mit Händen und Füßen dagegen, ihre Luft sauber zu halten?

Lohrengel: Weil sich das unter Umständen nur mit unpopulären Maßnahmen wie Fahrverboten erreichen lässt.

KKA: Und durch das Leipziger Urteil kommen die Fahrverbote jetzt auf jeden Fall?

Lohrengel: Es gibt keinen Automatismus, sondern man muss jede Stadt separat betrachten. Für Stuttgart hat das BVG allerdings ausdrücklich festgestellt, dass nur ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unterhalb von Euro 6 und Benziner unterhalb von Euro 3 als geeignete Maßnahme angesehen werden kann.

Aber selbst in diesem Fall haben die Richter auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen. Das bedeutet, es wird Übergangsfristen, Abstufungen und Ausnahmen geben müssen.

KKA: Vertreter von Handwerksverbänden haben sich zu Wort gemeldet und vor den Folgen gewarnt, wenn Handwerker, deren Fuhrpark oft aus Dieselfahrzeugen besteht, nicht mehr in die Innenstädte fahren dürfen.

Lohrengel: Handwerker werden in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich als Ausnahmen erwähnt. Auch für andere Gruppen wird es Ausnahmen und Übergangsfristen geben müssen.

KKA: Dann besteht also gar kein akuter Handlungsbedarf?

Lohrengel: Noch gibt es keine Fahrverbote; sie drohen aber. Das wird uns vermutlich nicht schon in den nächsten Wochen treffen, wobei Hamburg angekündigt hat, schon Ende April einige Straßenabschnitte für bestimmte Diesel-Kraftfahrzeuge zu sperren, aber mittelfristig schon. Das Leipziger Urteil hat insofern bundesweit Signalwirkung, denn es hat klargestellt, dass die Städte verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zur Luftreinhaltung anzuwenden, notfalls auch Fahrverbote.

Und da erwiesenermaßen ein großer Teil der Luftschadstoffe in Städten von Kraftfahrzeugen, vor allem von solchen mit Dieselmotor verursacht wird, würde ich empfehlen, zukünftig keinen Diesel mehr zu kaufen oder nur noch einen, der die entsprechenden Grenzwerte sicher einhält, also Euro 6.

KKA: Aber viele Handwerksbetriebe haben relativ junge Fahrzeugflotten mit Euro 5-Dieseln, die auch von Fahrverboten betroffen sein können. Die können doch nicht schon wieder neue Autos kaufen, zumal sie für die alten ja in der jetzigen Situation keinen angemessenen Preis mehr bekommen. Was sollen die also tun?

Lohrengel: Allen Haltern von VW-Fahrzeugen, deren Abgaswerte erwiesenermaßen mit Schummelsoftware manipuliert wurden, empfehlen wir, den Hersteller auf Rückgabe zu verklagen. Leider entschädigt VW die europäischen Kunden nicht pauschal und umfassend wie in den USA. Hierzulande muss jeder Kunde separat sein Recht einfordern. Die Aussichten, dass man sein Fahrzeug zurückgeben kann und sein Geld zurückbekommt, abzüglich eines Abschlags für die Nutzung, sind aber gut, auch wenn die Gerichte hier unterschiedlich urteilen. Derzeit sind in dieser Sache in Deutschland etwa 20.000 Verfahren anhängig. Es gibt hierzu bisher keine zweitinstanzlichen Entscheidungen, das heißt, selbst wenn man in erster Instanz scheitert, bietet VW offenbar einen Vergleich an. Ich denke, die wollen obergerichtliche Entscheidungen in dieser Sache vermeiden, die dann ja auch wieder Signalwirklung hätten. Wenn man diesen Weg gehen will, sollte man das bald machen, denn zum 31.12.2018 verjähren diese Ansprüche.

KKA: Und wenn man nicht das zweifelhafte Glück hat, ein Auto mit Schummelsoftware gekauft zu haben?

Lohrengel: Wir als Kanzlei gehen davon aus, dass es noch andere Hersteller treffen wird. Aktuell ist ja der Vito von Mercedes in Verdacht geraten. Bis das jedoch amtlich festgestellt wurde, ist der Weg etwas riskanter als im Falle von VW. Wenn man den Verdacht hat, dass das eigene Fahrzeug auch im realen Betrieb andere Abgaswerte hat, als auf dem Prüfstand, kann man in einem gerichtlichen selbständigen Beweisverfahren überprüfen lassen, ob an diesem Fahrzeug auch manipuliert wurde. Das Gericht wird dann allerdings einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen, den man zunächst aus eigener Tasche bezahlen muss, wenn man keine Rechtsschutzversicherung hat. Wir prüfen derzeit aber noch einen dritten Weg, der völlig unabhängig von den Abgaswerten des Fahrzeugs ist.

KKA: Sie meinen, man könnte unter Umständen auch ein völlig korrektes Fahrzeug wieder loswerden?

Lohrengel: Ja, jedenfalls wenn es finanziert wurde.

KKA: Das müssen Sie erklären!

Lohrengel: Das erfolgt analog zu der Vorgehensweise bei Immobilienfinanzierungen mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung. Da hatte der BGH 2009 ein endloses Widerrufsrecht festgestellt. Unsere Kanzlei hat sich auf dieses Thema spezialisiert und zahlreichen Klienten geholfen, ihre Verträge zu widerrufen und rückabzuwickeln, um zu günstigeren Zinsen eine neue Finanzierung zu erhalten. Nach einer Gesetzesänderung ist für Immobilienkredite dieses „ewige Widerrufsrecht“ allerdings ausgelaufen. Bei Kraftfahrzeugen kann man dennoch einen ähnlichen Weg beschreiten, wenn man im Finanzierungs- oder Leasingvertrag entsprechende Fehler findet. Wir schauen uns die Verträge der Auto-Finanzierer gerade genau an und sind sehr zuversichtlich, dass das ein erfolgversprechender Weg sein wird. Allerdings sind die Banken natürlich selbst auch schon auf das Thema aufmerksam geworden und werden für die Zukunft ihre Verträge sicherlich überarbeiten.

KKA: Das ganze Problem hätte doch wahrscheinlich vermieden werden können, wenn die Autos die von den Herstellern angegebenen Verbrauchs- und Abgaswerte auch tatsächlich einhalten würden. Dann wäre die Luft in den Städten besser, und man käme in den meisten Fällen ohne Fahrverbote aus.

Lohrengel: Das kann man vermuten! Technische Gründe sprechen jedenfalls nicht dagegen, schließlich sind die Grenzwerte in Kalifornien sechsmal schärfer, und trotzdem hat VW es geschafft, dort Dieselmodelle zugelassen zu bekommen, die den Anforderungen genügen. Das lässt sich allerdings nicht mit einem Softwareupdate regeln, sondern dafür müssen weitreichendere Hardwaremaßnahmen ergriffen werden, die natürlich viel teurer sind.

KKA: Warum muss dann jeder Auto-Kunde einzeln für sein Recht streiten? Ich dachte, als Käufer hat man den Anspruch darauf, dass eine Ware die vom Verkäufer zugesicherten Eigenschaften auch wirklich hat; wieso verpflichtet man die Industrie nicht dazu, die Autos auf den tatsächlichen Stand zu bringen, der in den Prospekten steht?

Lohrengel: Das wäre für die Hersteller sehr teuer. Und in Deutschland gilt die Autoindustrie als systemrelevant. Da will die Politik nicht ran. Die EU-Kommission denkt aber genau wegen des Diesel-Skandals darüber nach, die Verbraucherrechte zu stärken und wie in den USA die Möglichkeit zu Sammelklagen zu schaffen.

Das Interview für die KKA führte Thomas Schwarzmann, Redakteur im Bauverlag, Gütersloh.

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