Kühlen, wenn der Strom
günstig ist

Lebensmittelhandel diskutierte beim EHI-Kongress Energiemanagement

Der Preis für Strom schwankt im Verlauf eines Tages mehrfach. Im Lebensmittelhandel liegt sein Anteil am Energieverbrauch für die Kältetechnik bei satten 45 %. Warum kühlt man also nicht einfach dann, wenn es am günstigsten ist? Was sich für den Kältefachmann wie ein Scherz anhört, sind Konzepte, die während des diesjährigen Energiemanagement-Kongresses des EHI sehr ernst diskutiert wurden.

„Power to Heat“ oder „Power to Power“ sind in Fachkreisen eingeführte Begriffe. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Unwandlung bzw. Speicherung von günstigem oder selbst erzeugtem Strom in Wärmespeichern sowie Akkumulatoren. Der Begriff „Power to Cold“ hingegen existiert bislang nur auf dem Reißbrett. Dennoch beginnt der Lebensmitteleinzelhandel darüber zu diskutieren. So geschehen am 10. und 11. November 2015 während des EHI-Kongresses Energiemanagement in Köln. Aber was steckt dahinter und worin sieht der Handel einen Nutzen?

Idee und Nutzen von „Power to Cold“

Die Idee für „Power to Cold“ kommt aus dem Stromhandel. Junge Start Up-Unternehmen wie die Next Kraftwerke GmbH, Köln, entwickeln Konzepte, um die Erzeuger-, Anbieter- und Verbraucherseite einander näherzubringen. Das Stichwort dafür lautet „Lastmanagement“. Mit Lastmanagement soll zum Beispiel die Strom verbrauchende Seite kontinuierlich dem aktuellen Strompreis angepasst werden – im Idealfall bald alle 15 Minuten. Betrachtet man den typischen Preisverlauf im sogenannten ‚Intraday-Markt’, dann erkennt man eine mehrfache Strompreisschwankung (pro MWh) innerhalb einer Stunde, teils um über 50 % (siehe Bild 2). Gelingt es, den Verbrauch darauf einzustellen, dann ergeben sich enorme Kostenvorteile. Das ist der Hauptnutzen für den Lebensmittelhandel. Der Plan für die Kältetechnik: Die Kälteanlage schaltet nur ein, wenn der Strom günstig ist. Sie läuft dann bedarfsunabhängig. Die Kühlmöbel, Kühlräume und natürlich auch die Kühlwaren werden damit zu Kältepuffern. Stehen Strompreisspitzen und verlängerte Abschaltzeiten an, dann wird vorher die Verdampfungstemperatur gegebenenfalls kurzfristig um ein bis zwei Grad tiefer gefahren, um die Sicherheit der Waren zu garantieren.

Wunsch und Wirklichkeit

An diesem Punkt wäre es auf dem Kongress sinnvoll gewesen, neben der Stromanbieter- auch die Kälte erzeugende Seite zu hören. Es gab zwar verschiedene Vorträge zu modernen Kälteanlagen, Wärmerückgewinnungskonzepten oder zur Komponentenentwicklung. Aber kaum einer der Teilnehmer war urteilsfähig und erfahren genug, Wunsch und Wirklichkeit beim Thema Lastmanagement von Kälteanlagen voneinander zu trennen oder die Schnittstellen zu definieren (siehe hierzu den Kommentar). Denn natürlich soll ein intelligentes Lastmanagement dem Anlagenbetreiber nützen. Es darf aber die Komponenten- und Systementwicklung im Kälteanlagenbau nicht außer acht lassen, oder gar konterkarieren. Genau das kann aber passieren, wenn keine gemeinsamen Lastmanagementkonzepte erarbeitet werden.

Projekte und Auszeichnungen

Das neue Energie-Dienstleistungsgesetz war die Basis weiterer Vorträge. Es verpflichtet den Handel zur Einführung von Energiemanagementsystemen, zur Zertifizierung und zu regelmäßigen Audits. Verantwortlich für die Einhaltung ist meist der Energiemanager im Haus. Letztendlich soll sich ein Handelsunternehmen mit diesen Maßnahmen darüber klar werden, wo/wann/wofür Energie verbraucht wird. Die Herausforderung ist riesig, denn es bedeutet, viele Filialen digital auszurüsten, gigantische Datenmengen zu sammeln, zu speichern, auszuwerten, um schlussendlich vernünftige Handlungen für Einsparungen und Klimaschutz abzuleiten. Vor allem die Eigentumsverhältnisse sind dabei die wohl größte zu nehmende Hürde. Denn 85 % des Handels befindet sich in angemieteten Räumlichkeiten. Meist zwar längerfristig für wenigstens 15 Jahre, aber oft in Verbindung mit anderen Mietern im gleichen Objekt. Hier eine saubere Trennung von Verbrauchsdaten zu schaffen, ist nicht einfach. Ebenso ist zu klären, wer in Systeme wie die Kältetechnik investiert und was nach Ablauf des Pachtvertrags damit passiert.

Vielleicht war deshalb auch der im Handel andere große Stromfresser „Licht“ mit Umrüstungen auf LED-Technik der alles anführende Trend im Jahr 2015. Im Lebensmittelsektor folgt dann die Kältetechnik, wobei im Bestand die hohen Anlageninvestitionen abzuschrecken scheinen und zu Zwischenlösungen wie zusätzlichen Kühlmöbelabdeckungen oder WRG-Maßnahmen führten. Da aber im neuen Jahr bereits deutliche Preissteigerungen für konventionelle Kältemittel angekündigt sind, wird sehr wahrscheinlich die kältetechnische Umrüstung auf Bestandsalternativen einer der Trends 2016 werden. Bei neuen Märkten ist alles beim Alten. CO2-Systeme, teilweise auch Propan-Anlagen, bestimmen das Bild bei den großen Handelsketten. Die Frage, ob der Kälteanlagenbau und Service mit diesen Hochdruck- bzw. sicherheitsrelevanten Stoffen in der Breite umgehen kann, wurde aber nur zögerlich mit einem „Ja“ beantwortet. Wie gesagt: Der Kälteanlagenbau war nicht präsent, um sich zu äußern.

Fast schon ein „Kälte-Award“

Bei den diesjährigen Award-Gewinnern des EHI zählte die Kältetechnik aber zu den Abräumern. In der Kategorie „Filialunternehmen“ siegte der Globus-Testmarkt in St. Wendel. Dort definiert der Fachmarkt-Familiengigant (die Globuskette gehört dem Bruch-Imperium) nachhaltige Standards für seine 172 Bestandsmärkte und natürlich auch für jedes neue Roll Out. Immer, wenn Kältetechnik benötigt wird, setzt Globus auf CO2-Boosteranlagen mit WRG (für Heizung und Warmwasser) und auf Kühlmöbel mit Türen oder Glasabdeckungen. Zieht man den Vergleich zu den Globus-Standards aus dem Jahr 2000, dann führten alle in der Liegenschaft St. Wendel umgesetzten Maßnahmen (siehe Bild 5) zu Energieeinsparungen von 30 % – was ein Award wert ist.

Noch bemerkenswerter ist aber der Gewinner in der Kategorie „Innovation“’, der fast schon ein Kälte-Award ist. Er geht nämlich an die Migros Luzern für den Einsatz mehrerer neuer Ejektoren in den beiden transkritischen CO2-Booster-Anlagen mit Parallelverdichtung des Mythen-Centers Schwyz (siehe Bild 6). Das gemessene Resultat: 25 % Effizienzsteigerung im realen Eins-zu-Eins-Vergleich. Nach Einschätzung des ausführenden Fachplanungsbüros Frigo-Consulting AG, Bern, sollen die Ejektoren im kommenden Jahr verfügbar sein, was von Herstellerseite bislang allerdings noch nicht bestätigt werden konnte. Da aber Feldtests laufen, kann es eigentlich nicht mehr sehr lange dauern.

Der neue Energiemonitor

Ein Standardwerk des EHI ist der jährlich fortgeschriebene „Energiemonitor“. Die Studie analysiert Maßnahmen zur Energieoptimierung im Handel. Auszüge aus den 2015er Ergebnissen wurden in Köln vorgestellt. So sanken die Energiekosten im Einzelhandel im Vergleich zum Vorjahr um 6 %. Ausschlag gaben zum einen günstigere Energiepreise, zum anderen die zunehmende Verbreitung verbrauchssparender Maßnahmen – wozu auch die Kältetechnik zählt. Allerdings ging es im laufenden Jahr schwerpunktmäßig um die Schließung bestehender Kühlmöbel, oder die Nutzung der Verflüssigerabwärme für Warmwasser und/oder die Heizung. Die Sanierung oder wenigstens das Retrofit bestehender Kälteanlagen, beispielsweise mit neuen HFO-Gemischen, scheint noch nicht flächendeckend angelaufen zu sein. Aber wie schon geschrieben: Der steigende Kältemittelpreis wird dafür bald die richtigen Argumente liefern. Der neue Energiemonitor 2015 erscheint Anfang 2016 und kann zu einem Preis von 930 € unter www.ehi-shop.de vorbestellt werden.

Kommentar: „Power to Cold“ ist machbar

Ja! Es macht Sinn, Kälteanlagen auch zur Energiespeicherung einzusetzen. Die Systeme dann zu betreiben, wenn grün erzeugte, elek­trische Energie verfügbar ist, oder gehandelter Strom günstig, schont Umwelt und Geldbeutel zugleich. Kälteenergie einerseits und auch die Verflüssigungswärme auf der anderen Seite einzuspeichern, wird einer der Schlüssel für das Glücken der Energiewende werden. Die große Menge bereits verfügbarer Kälteanlagen mit großen Erzeugerkapazitäten sind dafür ein Segen. Woran es nur scheitern kann, sind mangelnde Kommunikation und Information zwischen der Strom handelnden bzw. verbrauchenden und der Kälte planenden und ausführenden Seite. Letztgenannte müssen nämlich zuallererst die ganzjährige Versorgungssicherheit gewährleisten. Danach spielen Effizienz und Umweltschutz immer wichtigere Rollen. Leistungsgeregelte Verdichter, elektronische Expansionsventile, neue oder natürliche Kältemittel und Wärmerückgewinnung sind einige der Themen, die die Kältebranche derzeit bewegen. Und Strom ist zu jeder Sekunde verfügbar. Die Anlage muss dann laufen, wenn Kälteenergie benötigt wird – zumindest nach aktuellem Stand der Planungen. Aber wer ist denn nun auf dem richtigen Weg?
Recht haben alle – von ihrem Standpunkt aus gesehen! Um aber zukunftsfähige Konzepte zu realisieren, müssen die im Planungsprozess und der anschließenden Versorgung Handelnden aufeinander zugehen. Der Lebensmittelhandel kann dafür eine Schlüsselrolle einnehmen, sogar Vorbild für Gewerbe, Industrie und den Wohnungsbau werden. Wie am Ende der Supermarkt von morgen tatsächlich gekühlt (und nebenbei auch beheizt) wird, woher die vielleicht zwischengespeicherte Energie dann kommt und wie ein vorausschauendes Lastmanagement „Power to Cold“ Wirklichkeit werden lässt, das sind die Fragen, die vorbehaltslose Antworten brauchen. Der Handel handelt, hoffentlich auch in dieser Hinsicht. (Achim Frommann, Freier Fachjournalist)


Über das EHI

Das EHI Retail Institute ist ein Forschungs-, Bildungs- und Beratungsinstitut für den Handel und seine Partner. Das internationale EHI-Netzwerk umfasst rund 750 Mitgliedsunternehmen aus Handel, Konsum- und Investitionsgüterindustrie. In Kooperation mit dem EHI veranstaltet die Messe Düsseldorf die weltweit führende Investitionsgütermesse „EuroShop“ und die „EuroCIS“ mit neuesten Produkten, Lösungen und Trends der IT- und Sicherheitstechnik.

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