Migranten im Betrieb

So werden Geflüchtete zu Kollegen

In Zeiten des Fachkräftemangels sind Migranten mit Bleiberecht eine gute Möglichkeit, Personalengpässe in einem Handwerksbetrieb zu beheben. Ausländische Mitarbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind nichts Neues. Seit zwei Generationen arbeiten Türken, Italiener und Griechen in Firmen hierzulande mit. Neu ist, dass Arbeitnehmer aus vielen sehr unterschiedlichen Ländern bei uns tätig sind. Doch wie geht man in einem Betrieb mit dieser neuen Situation um?

Schön, wenn sich Geflüchtete auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrieren können. Migranten möchten die Arbeitsgewohnheiten und Umgangsformen schnell begreifen. Sie befinden sich in einem erwartungsvollen und angespannten Zustand und reagieren auf neue Eindrücke sehr sensibel. Man muss sich nur vorstellen, wie man selbst reagieren würde, wenn man in einem arabischen Land arbeiten würde und vor Ort keine Unterstützung hätte. Ein Miteinander unterschiedlicher Kulturen ist im Berufsalltag eine echte Herausforderung, weil in anderen Nationen teils unterschiedliche Vorstellungen von Teamarbeit bestehen. Viele überrascht es, dass in Deutschland die Zusammenarbeit und die Rolle des Chefs ganz anders sind als z.B. in arabischen Ländern. Erziehung und Umgangsformen in der Heimat prägen das spätere Verhalten am Arbeitsplatz und das Miteinander im Team. Besonders auffällig ist die stark ausgeprägte Achtung vor Autoritäten, wie es in ihren Herkunftsländern üblich ist. Deshalb treffen sie möglicherweise ungern eine Entscheidung alleine, fühlen sich verunsichert, wenn sie Verantwortung alleine tragen sollen. Sie gehen tendenziell vom autoritären Führungsstil aus, der in ihrem Heimatland üblich ist.

Hierarchien und demokratische Entscheidungen im Betrieb erlauben den Mitarbeitern hierzulande ein aktives Mitspracherecht und verringern soziale Unterschiede. Das ist gewöhnungsbedürftig und erfordert Aufklärung. Für Kollegen aus anderen Kulturen ist es mitunter überraschend, dass der Mitarbeiter seine Meinung im Meeting äußern darf. Migranten sind aus ihrer Heimat oft Anweisungen des Vorgesetzten gewöhnt, während in deutschen Betrieben Eigeninitiative und Verantwortungsübernahme des Mitarbeiters gefragt sind.

Integrationshindernisse überwinden

Wer neu ist, betritt unbekanntes Terrain, sein Zugehörigkeits- und Sicherheitsgefühl ist noch nicht ausgeprägt. Der Neue sucht Orientierung und ist auf Unterstützung des Teams angewiesen. Er versucht vor allem anfangs alles richtig zu machen. Diese Form der „Überanpassung“ braucht große Konzentration, ein hohes Arbeitstempo ist daher in den ersten Tagen nicht möglich.

Nach der „Defizit-Theorie“ sieht man meist nur das, was der Migrant noch nicht leistet, was ihm fehlt. Vergleiche zwischen der Leistung von inländischen und ausländischen Mitarbeitern sind unbedingt zu vermeiden. Wer bei der Einarbeitung etwas länger braucht, ist oft derjenige, auf den man später eigentlich nicht mehr verzichten will. Mitarbeiter mit Sprachschwierigkeiten brauchen für die Einarbeitung etwas länger, sind deswegen aber nicht automatisch weniger motiviert.

Fehler werden von Kollegen anders wahrgenommen und bewertet als vom Vorgesetzten. Wesentlich ist, dass man sich nicht schon in den ersten Tagen mit einem Vorurteil festlegt.  Migranten brauchen Feedback, sie wollen wissen, ob sich ihre Bemühungen gelohnt haben, ob sie ankommen. Man sollte erst nach weiteren Eindrücken ein endgültiges Urteil vornehmen. Kommt es zu schnellen Fortschritten bei der Einarbeitung, freut sich der Migrant über eine ausdrückliche Anerkennung, auch von deutschen Kollegen. Das motiviert ihn für weiteres Engagement. Dauert es etwas länger, ist Geduld und Toleranz angesagt.

Der ausländische Mitarbeiter hat u.U. eine unterschiedliche „Reizschwelle“, wenn seine Arbeit von einem Kollegen angesprochen wird. Kritische Äußerungen und Vorschläge des Kollegen rufen ein Gefühl der Verunsicherung hervor. Bei der Bewertung der Arbeitsleistung muss zum Ausdruck kommen, dass es nicht um Kritik geht, sondern um eine Anregung. Migranten müssen sich erst daran gewöhnen, dass nicht nur der Chef, sondern auch erfahrene Kollegen auf Fehler aufmerksam machen, und dies als Unterstützung in einem kollegialen Verhältnis zu sehen ist.

Arbeitsanweisungen verständlich vermitteln

Arbeitsabläufe nachvollziehbar zu vermitteln, ist nicht jedermanns Sache. Erfahrene Vorgesetzte mit großem Kenntnisstand sind nicht automatisch gute Instruktoren. Kenntnisse zu besitzen und diese zu vermitteln, ist nicht dasselbe. Am besten gliedert man die Einweisung in Schritte und fragt direkt nach jedem Schritt und nicht erst am Ende, ob es noch Fragen gibt.

Zu viele Details am ersten Tag verwirren, daher werden nur wichtige Arbeitsschritte erläutert, am besten beginnt man mit einem groben Überblick über die Aufgabe, stellt immer wieder Fragen und zeigt sich geduldig. Bei der Einarbeitung muss auf den „Overkill“ an Informationen geachtet werden. Rückfragen des Migranten nach der Einweisung dürfen nicht als Belastung betrachtet werden. Wer bei der Einweisung die Reaktion des Neuen genau beobachtet, kann unterscheiden, ob der Neue sich überschätzt oder ängstlich ist und sich wenig zutraut.

Bei der Wissensvermittlung gibt es die Muss-Informationen, das sind die Basics, die zur Arbeitssicherheit unbedingt erforderlich sind. Außergewöhnliche Situationen der Gefährdung werden noch nicht angesprochen. Kann-Informationen sind Antworten, die es nur gibt, wenn der Migrant Fragen stellt. Bei Plus-Informationen handelt es sich um besondere Details, die am Ende der Einarbeitungsphase Bedeutung haben. Informationsbedürfnisse des Einzelnen sind sehr unterschiedlich, an den Fragen des neuen Migranten erkennt man den Lernfortschritt und seine Auffassungsgabe, sein Interesse. Bei der Einarbeitung sind viele unterschiedliche Aktivitäten und Anläufe notwendig, um Wissen zu verinnerlichen und sicher anzuwenden.

Innere Einstellung und Umgangsformen

Es gibt Arbeitskollegen, die nur auf beruflicher Ebene Kontakt mit Migranten haben. Sie wissen nicht, wie sie einen privaten Kontakt knüpfen sollen. In arabischen Kulturkreisen spielt die Familie häufig eine größere Rolle als in Europa. Die Familie ist immer ein gutes Thema fürs Private. Die Kultur eines Herkunftslandes muss aber respektiert werden. Es ist eine große Leistung, wenn der ausländische Kollege unsere Gewohnheiten akzeptiert und es schafft, gleichzeitig seine eigene Identität zu bewahren. Beim Small-Talk zeigt es sich in wenigen Worten, ob der Migrant die „Annäherung“ des Kollegen als aufdringlich und unangenehm empfindet. Wer aus anderen Kulturkreisen kommt, versteht unter dem Begriff Kollegialität etwas anderes.

Zur Integration gehört es, ein „Wir-Gefühl“ in Etappen zu schaffen, eine Wohlfühlatmosphäre, die auch bei Stress und Termindruck gilt. Es gibt genügend Themen hierfür: Wo hast Du gelernt? Wie wird bei Euch gearbeitet? Anpassungsfähigkeit an unsere Arbeitswelt ist für Migranten eine ganz große Leistung: Der Neue muss die Sprache lernen, sich an die Umgangsformen gewöhnen, Sicherheit im Auftreten gewinnen und die Arbeitsgewohnheiten kennenlernen. Und das alles möglichst schnell. Alleine die Bemühungen darum verdienen eine Anerkennung der Kollegen.

Migranten benötigen die Unterstützung durch die Gemeinschaft, um sich geborgen zu fühlen. Es gilt aber auch, dass sich alle untereinander anerkennen, sich nicht wegen unterschiedlicher Kulturen ablehnen. Ebenso müssen sie die Rolle der Frau als gleichberechtigte Mitarbeiterin anerkennen, auch wenn sie von der Erziehung her anderer Ansicht sind. Schon kleinere Verstöße dagegen sind sehr ernst zu nehmen und führen zu einem Disziplinargespräch. Dies gilt ganz besonders bei Belästigungen einer Kollegin.

Kompromisslose Einhaltung von Vorschriften

Beim Thema Arbeitssicherheit ist sorgfältige Unterweisung angesagt. Bei der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften gibt es keine Kompromisse und das Team geht mit gutem Beispiel voran, auch wenn dem Migranten manche Vorschrift als bürokratisches Monster vorkommen mag. Das Team leistet Unterstützung bei der Prävention von Gefährdungen. Geräte, Werkzeuge, Maschinen und Schutzvorrichtungen müssen in jedem Fall bestimmungsgemäß verwendet werden.

Nach dem „Arbeitsschutzgesetz“ und den „Unfallverhütungsvorschriften“ stehen zunächst die Arbeitgeber in der Pflicht (§ 5 ArbSchG), im weiteren Sinn unterstützen die Kollegen ihn bei der Prävention von Gefährdungen.

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