Propan im Blut

Kohlenwasserstoffe für Münchner Großmarkt

Der Münchner Großmarkt gehört zu den größten kommunalen Märkten Europas für Lebensmittel und Blumen. Vielerlei weitere verderbliche Waren, die Lagerfrische benötigen, werden dort täglich gehandelt. Dafür ging jetzt eine neue Propankälteanlage in Betrieb, die zeigt, wie einfach und sicher eine natürliche Lösung sein kann.

„Nein!“, zementiert Helmut Künzel ein klares Statement auf die Frage, ob er denn keine Angst beim Umgang mit brennbaren Kältemitteln habe. „Unser Kälte-Klima-Fachbetrieb beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit natürlichen Lösungen für unsere Kunden. Außerdem haben wir mit Frigoteam einen Partner, der seit vielen Jahren als Innovationstreiber gilt. Darauf können wir vertrauen“. Damit sind die beiden Protagonisten dieser Reportage bereits genannt. Aber worum genau geht es bei soviel Tatendrang, der von allen Beteiligten auch einen Schuss „Propan im Blut“ braucht?

Im „Bauch von München“

Der Großmarkt liegt im Stadtteil Sendling. 1912 errichtet, gilt er im Volksmund als „Bauch von München“. Der Kommunalbetrieb entstand aus den selbständigen Betriebsteilen Großmarkthalle München und Schlachthof München. Seit dem 1. Januar 2014 sind die Betriebsteile Markthallen München (Großmarkthalle und Lebensmittelmärkte) sowie Schlacht- und Viehhof München wieder eigenständig. Die Verwaltung obliegt jedoch weiterhin den Markthallen München. Auf dem 310.000 m² großen Areal handeln tagtäglich rund 400 internationale Import- und Großhandelsfirmen.

Dort befinden sich auch vier Umschlagshallen. Drei davon betreibt die UGM GbR und vermietet Lager-, Kommissionierungs- und Kühlflächen weiter an Frucht- und Gemüsehändler sowie an Logistikunternehmen. Für die UGM 2 wurde nun eine neue Kälteanlage nebst Kühlräumen benötigt.

„Während des Planungsprozesses für das Kältesystem kam die Betreibergesellschaft auf uns zu, da wir vor Jahren bereits eine andere Anlage mit Dimethylether (R723) geplant und realisiert hatten“, erläutert Burhard Dunst. Der Frigoteam-Geschäftsführer ist immer auf der Suche nach dem aktuellen „Stand der Technik“, um dann die Messlatte selbst eine Stufe höher zu legen. Aus Kundensicht nennt man dieses Bestreben Nachhaltigkeit. So kam es, dass für die UGM2 eine andere Kältemittelwahl den Vorzug erhielt: Propan (R290). Und Betreiber und Planer waren einverstanden.

Inzwischen ist das System in Betrieb. Für die Normalkühlung ausgestattet, werden die beiden Kühlräume mit Lagerkapazitäten von 630 m² konstant bei 6 °C bzw. 2 °C gekühlt. Insgesamt sind vier Luftkühler mit einer Leistung von jeweils 25 kW installiert. Jeder Kühler verfügt über ein Motorkugelventil und einen dynamischen Volumenstromregler. Die Abtauung der Luftkühler erfolgt über Warmsole, ist somit effektiv und energiesparend.

„Über eine Schleuse kommt man in den ersten Kühlraum und direkt dahinter befindet sich der zweite“, beschreibt Dunst die Anordnung. „So können wir über einen einzigen Solekreislauf effektiv arbeiten, der von der Propankälteanlage gespeist wird.“ In diesem Sekundärsystem zirkulieren 4000 l Propylenglykol. Zwei Wärmeübertrager trennen es von der Kältemaschine. Damit wird die Kältemittelfüllmenge auf das notwendige Minimum reduziert. Dazu aber gleich noch Ausführliches.

PCM auf Abruf

Neben der Funktion als hydraulische Weiche lässt der im Solekreislauf eingebundene Speicher noch eine zweite Option offen. Mittels PCM-Kugeln (PCM = Phase Change Materials) ist nämlich die Erweiterung zu einem PCM-Speicher möglich. Damit kann eine maximale Ladeleistung von 125 kWh realisiert werden. Diese Möglichkeit verschafft dem Betreiber weitere Einsparmaßnahmen, denn:

·Steht zukünftig regenerativ erzeugter Strom kostenlos zu Verfügung, kann der Speicher verbrauchsunabhängig beladen werden. Dazu kann beispielsweise eine Photovoltaikanlage dienen, die allerdings bislang noch nicht installiert ist.

·Eine zweite Sparmaßnahme ist für den Betreiber sofort umsetzbar. Da die Strompreise heute viertelstündlich schwanken und elektrische Energie im gleichen Takt an der Leipziger Strombörse gehandelt wird, ist mittels Zwischenspeicherung von Kühlenergie der kostenoptimierte Betrieb dieser Propankälteanlage möglich.

Propan macht es möglich

So wandelt sich der vermeintliche Nachteil der Sekundärkreislösung einer Propankälteanlage für jeden Betreiber in einen nutzbringenden Vorteil. Denn langsam aber sicher werden Kältespeicher als wichtiges Bindeglied erkannt, um die für Kühlung unabdingbar benötigte elektrische Energie preisgünstig und klimaschonend zu verwenden – im Falle regenerativer Energie sogar klimaneutral. Hinzu kommt ein weiterer Fakt: Die beiden installierten Kältekreisläufe haben eine Gesamtkälteleistung von 96 kW. Pro Kreislauf befinden sich aber nur 3,1 kg Kältemittel ohne Sammler in der Anlage. Zum Vergleich: Wäre das gesamte System direktverdampfend ausgeführt worden, läge die Füllmenge mit einem synthetischen Kältemittel bei rund 100 kg. Das hätte seinen Preis und zwänge die Kälteanlage außerdem in die F-Gase-Verordnung mit allen notwendigen Betreiberpflichten.

Für die notwendige Sicherheit sorgt die vorkonfigurierte Ausführung der Propan-Kältemaschine. So befindet sich sämtliches Kältemittel, inklusive der beiden explosionsgeschützten Verdichter und Kreisläufe, in einem hermetisch dichten und abgeschlossenen Gehäuse. Außerdem ist der Schaltschrank komplett entkoppelt, so dass keine Zündquellen existieren. Drei weitere Maßnahmen sorgen vor:

1.) Der zweistufige explosionsgeschützte Gassensor erkennt austretendes Propan sofort, noch ehe ein zündfähiges Gemisch zustande kommt.

2.) Ein Ventilator, der ein eventuelles Propan-Luftgemisch immer unter der zündfähigen Konzentration hält und das Gemisch über ein Steigrohr sofort nach draußen befördert.

3.) Eine Abschaltung aller elektrischer Einrichtungen, die das System im äußersten Falle sofort stromlos schaltet.

 

Sekundärkreis mit neuer „tocata“-Überwachung

Ehe die Sole aber die vier Luftkühler in den beiden Kühlräumen durchströmt, wird sie in einem großen Pufferspeicher bevorratet. Der 2 m³ große Isoliertank dient als hydraulische Weiche zwischen Kälterzeuger und Verbraucherseite. Die Soletemperatur darin liegt bei konstant -6 °C. Ändert sich dieser Wert, speisen die redundant ausgeführten Solepumpen Kälteenergie der Kälteanlage nach. Beide haben ein Fördervolumen von 24 m³/h und sind drehzahlgeregelt. Gleiches gilt auch für die dem Speicher nachgeschalteten zwei Pumpen für die Versorgung der Luftkühler. Mit dieser Sekundärkreisausführung ist ein energieoptimierter Betrieb erst möglich.

Für das Monitoring und den Fernzugriff auf den Solekreis bzw. die gesamte Kälteanlage ist die Software „tocata“ im Einsatz. Dabei setzt der Betreiber gezielt auf das offene Modbus-Protokoll. Denn im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern können mit „tocata“ Kältekomponenten aller am Markt befindlichen Anbieter eingebunden werden, egal ob Druck-, Temperatur- und Feuchtesensoren, Kühlstellenregler, Pumpen, INT 69 VS Motorvollschutz für die Verdichter, Controller für den Flüssigskeitskühler oder Drehzahlregler für den Solerückkühler. Besonders sinnvoll ist die Drucküberwachung des Solekreislaufs mittels Drucktransmitter. Gleiches gilt auch für die beiden benötigen Kältemengenzähler. Da nämlich die UGM GbR eine Lösung benötigt, die neben den bereits bestehenden weitere Kühlraumeinbindungen zulässt – die UGM 2 hat dafür noch einiges an Flächen verfügbar – ist die individuelle Abrechnungsmöglichkeit der benötigten Kältemengen pro Kühlraum und Kunde ein Muss. Mit dem aktuellen Softwarerelaunch lässt „tocata“ jetzt auch die Kältemengenabrechnung von Sekundärkreisläufen zu. Die „Enterprise“-Lösung beinhaltet das Kühlstellen- und Alarmmanagement der kompletten Kälteanlage und ist IP-basiert. Alle anfallenden Daten werden dafür mittels Cloud auf einem eigenen Server in einem Datacenter abgelegt, sind damit jederzeit über alle Endgeräte abrufbar. So haben Betreiber, Kälteanlagenbauer oder Planer bzw. Hersteller eine ideale Monitoringlösung.

Sollte es wider Erwarten doch zu einer Kältemittelleckage kommen, reagiert die Anlage sekundenschnell, was jede Gefährdung ausschließt. Aufgrund dieser vorgefertigten Kältemaschinenausführung mussten im Maschinenraum, der sich direkt an die UGM2 anschließt, außer der Abluftöffnung keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden. Alle Anforderungen nach EN378 oder VDMA 24020, Blatt 3 sind erfüllt. Die Verflüssigungswärme gelangt übrigens auf kurzem Wege über einen zweiten Solekreis zum Rückkühler, der direkt neben dem Maschinenraum steht. Das gesamte System, inklusive Sekundärkreisläufen mit Edelstahlverrohrung und vorisoliertem Tendux-Kunststoffrohr, wurde vom Kälte-Klima-Fachbetrieb Künzel & Sohn GmbH & Co. KG aus Steinbach ausgeführt.

Tradition trifft auf Vision

In naher Zukunft können Lösungen, wie in der Großmarkthalle München oder auch mit deutlich kleineren Kälteleistungen aber nur dann den Markt erobern, wenn es der Kälteanlagenbau anpackt – so wie Helmut Künzel. Sein Vater gründete den traditionsreichen Betrieb im Jahr 1954. Darum kennt er sein Gewerk lange und bestens. „Ich habe keine Angst vor Propan. Im Gegenteil. Wann immer möglich sollten wir unseren Kunden natürliche Kältemittel empfehlen, denn es ist die ehrlichste und nachhaltigste Lösung, wenn man die heutige Verordnungslandschaft betrachtet und wenn man an unsere Umwelt denkt. Kohlenwasserstoffe sind dafür eine gute und inzwischen auch sichere Möglichkeit. Alle notwendigen Komponenten sind verfügbar.“ Gleichzeitig ist Helmut Künzel aber auch Realist, denn er vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass es neben Innovationstreibern wie Frigoteam vor allem noch eines benötigt: Aufklärung der Kunden und Ausbildung von Nachwuchs für den deutschen Kälteanlagenbau. Und er will selbst sein Möglichstes dafür tun, aber auch Schulen und Verbände weiter dazu motivieren, den Umgang mit natürlichen Kältemitteln voranzutreiben. Erste Angebote bestehen bereits, müssen aber angenommen werden, vor allem vom Kälteanlagenbau. „Damit möglichst viele bald Propan im Blut haben“, meint Helmut Künzel. So wie er selbst.

Phönix aus der Asche

Wissen Sie, wie das Kältemittel R410A entstand? Man erzählt sich, dass beim Ausstieg aus den H-FCKW-Kältemitteln und dem weit verbreiteten R22 (weltweit betrachtet auch R12) R32 als Gemischkomponente bekannt und zur Einführung als Reinstoff im Europäischen Markt vorgesehen war. Damals fand es aber wegen der Einstufung als A2-Kältemittel und seiner Brennbarkeit keine Akzeptanz. Außerdem gab es bereits das Dreistoffgemisch R407C (R32/R125/R134a) mit einem GWP von 1774 (Angabe gemäß IPCC IV, auch Basis für EU-F-Gase-VO 517/2014), aber dem Nachteil des Temperaturglides. Kurzerhand mischte man R32 im Verhältnis 50:50 mit R125 und bekam das nahe-azeotrope R410A mit der Sicherheitsgruppe A1. Es wurde anschließend mit massiven Maßnahmen in den Markt gedrückt.

Der Preis: Mit dem Wert 2088 ein höherer GWP als bei R407C und vor allem gegenüber R32 (GWP 675). Man trieb also den ‚Feuer-Teufel’ mit dem ‚GWP-Belzebub’ aus – auf Kosten des Klimawandels. Zum damaligen Zeitpunkt wurde aber keine GWP-, sondern des Ozonlochs wegen eine ODP-Debatte geführt.

Und heute: Wie ein ‚Phönix aus der Asche’ wird R32 salonfähig und seine Brennbarkeit nimmt man in Kauf. Denn durch aufwändige Tests erfolgten Nachweise, dass seine erforderliche Zündenergie sehr hoch liegt und die Flammgeschwindigkeit niedrig. So wird es in die neu geschaffene Sicherheitsgruppe A2L eingestuft – wie übrigens auch alle derzeit bekannten HFO-Kältemittel. Dazu zwei Gedankenanregungen:

1.      Warum ging man diesen Weg nicht bereits vor 15 Jahren? Man hätte damit dem Klimawandel entscheidend entgegen gewirkt und brennbare, also auch die natürlichen Kältemittel wären schon lange im Markt angekommen.

2.      Und warum packt man jetzt nur die Sicherheitsklassen, aber nicht das gesamte Regelwerk (EN378, ATEX-Richtlinien, Druckgeräterichtlinie, Maschinenrichtlinie…) an, um Kohlenwasserstoffen ebenfalls den Weg zu ebnen – ohne dabei sicherheitsrelevante Aspekte außer Acht zu lassen? Schließlich sind diese in der Heiztechnik oder auch im Freizeitsektor (Grillen, Camping) außerhalb jeder Diskussion.

Man sollte beim Ende der H-FKWs jetzt nicht die gleichen Irrtümer noch einmal begehen und als Planer, Anlagenbauer oder Betreiber – wann immer möglich – gleich auf die Natürlichen setzen. Damit entzieht man sich übrigens komplett der F-Gase-Verordnung. Das bietet kein anderes Kältemittel.

(Gast-Kommentar von Achim Frommann)

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