Was bedeutet Digitalisierung für das Handwerk?

Interview mit Walter Pirk, Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik

Die Digitalisierung verändert das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben grundlegend. Hiervon sind die Handwerksbetriebe in der Baubranche nicht ausgeschlossen. Doch welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf tradierte Geschäftsmodelle? Wie müssen sich Handwerker aufstellen, um zukunftsfähig zu bleiben? Und woher bekommt man Informationen und Empfehlungen für diesen schwierigen Weg? Die KKA-Redaktion führte hierzu ein Interview mit Walter Pirk, dem Leiter des Kompetenzzentrums Digitales Handwerk im Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik (HPI).

KKA: Herr Pirk, bevor wir zu unserem Hauptthema „Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung im Handwerk“ kommen – stellen Sie doch bitte einmal das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk im HPI vor. Wer steht dahinter? Was sind Ihre Aufgaben und Ziele?

Pirk: Das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk blickt auf erfolgreiche eineinhalb Jahre zurück. Seit dem offiziellem Startschuss im Frühjahr 2016 auf der IHM in München ist das Kompetenzzentrum in aller Munde und wir haben alle Hände voll zu tun. Wir konnten in über mehr als 400 Info- und Fachveranstaltungen etwa 21.000 Teilnehmer erreichen. 200 Handwerksbetriebe wurden von uns in Unternehmensdialogen über ihre individuellen Digitalisierungsmöglichkeiten informiert. Dabei wurde jeder Betrieb genau bei dem digitalen Stand abgeholt, wo er gerade steht.

Wir arbeiten daran, dass möglichst viele Betriebe vor den Erkenntnissen des Kompetenzzentrums Digitales Handwerks aber auch der Förderinitiative Mittelstand 4.0 des BMWi profitieren können. Dazu führen wir an den Standorten unserer fünf Schaufenster (siehe Grafik) Informationsveranstaltungen durch. Diese werden unterfüttert durch Fachveranstaltungen mit Schulungscharakter. In insgesamt 17 Umsetzungsprojekten zeigen und beschreiben wir, wie Unternehmen sich digitalisieren (können). Wissens­transfer über erfolgreiche Beispiele: Diese betrieblichen Umsetzungen werden in Broschüren, Filmen und Livepräsentationen den Handwerksbetrieben bundesweit nahe gebracht. Eine aktuelle Auswahl steht unter www.handwerkdigital.de bereit.

Wir wollen Betriebe für das Thema Digitalisierung sensibilisieren. Das HPI koordiniert die Aktivitäten der Schaufensterpartner und bildet die Schnittstelle zu den Handwerksorganisationen. Wir wollen mit interessierten Betrieben analysieren, wie sie momentan in Sachen Digitalisierung aufgestellt sind. Und welchen Weg sie in Zukunft gehen können, wollen wir mit den Inhabern gemeinsam erarbeiten.

Mit unseren Transferpartnern tauschen wir uns über eine geeignete Strategie für das Handwerk aus. Die Transferpartnerschaft stellt eine besondere Kooperation zwischen dem Kompetenzzentrum Digitales Handwerk und Institutionen aus der Handwerksorganisation dar. Gemeinsam verfolgen wir das Ziel, das Handwerk in das digitale Zeitalter zu führen. Derzeit sind es bundesweit über 30 Institutionen aus der Handwerksorganisation und wir freuen uns, dass es stetig mehr werden, die sich unserem Expertennetzwerk anschließen wollen.

Jeder Handwerksbetrieb kann Hilfe des Kompetenzzentrums in Anspruch nehmen und Kontakt zu einem der fünf regionalen „Schaufenster“ aufnehmen. Diese sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt und haben verschiedene Schwerpunkte:

Schaufenster Nord, BFE Oldenburg – zuständig für Informations- und Kommunikationstechnik, z.B.: Softwareeinsatz, Prozess-Sicherheit, eBeschaffung, eVergabe, eRechnung, Datensicherheit und -speicherung, Vernetzung

Schaufenster Süd, HwK für Oberfranken – zuständig für Produktions- und Automatisierungstechnologien, z.B.: Cyber Physische Systeme, Rapid Product Development, 3-D-Druck, digitale Messtechniken, digital steuerbare Maschinen oder die Vernetzung von Maschinen und Anlagen mit der Gebäudetechnik, Robotik.

Schaufenster Ost, HwK Dresden – zuständig für IT-gestützte Geschäftsmodelle, z.B.: ganzheitliche digitale Geschäftsmodelle, Erweiterung des Dienstleistungsspek­trums, etwa die Einrichtung eines Online-Shops, Zukunftsmärkte wie Smart Home, Smart Grid, AAL.

Schaufenster West, HwK Koblenz – zuständig für Digitale Prozesse, z.B.: Sichere mobile Geschäftsprozesse, Kundenorientierung, Effektivität und Effizienz, Prozess-Aufnahme, Dokumentation und -visualisierung.

Schaufenster Digitales Bauen, Bildungszentren des Baugewerbes in Krefeld und Bayerische BauAkademie in Feuchtwangen – zuständig für die digitale Transformation im Bauhandwerk,  z.B.: Wie können Kosten und Zeit beim Planen und Bauen durch neue digitale Techniken eingespart werden?

KKA: Der Begriff Digitalisierung ist ja nicht fest definiert. Die einen fühlen sich schon digital bestens aufgestellt, wenn sie Mails verschicken statt zu faxen. Andere befassen sich bereits mit digitalen Planungsmethoden wie Building Information Modeling (BIM). Was verstehen Sie unter „Digitalem Handwerk“?

Pirk: Die Betriebe wachsen naturgemäß mit dem technologischen Wandel, da dieser dem Betrieb Wettbewerbsvorteile verschafft. Hier treffen wir im Handwerk auf eine große Bandbreite an Betrieben: solche, die ihre Arbeitsverfahren und Unternehmensführung eher klassisch ausüben, und Unternehmer, die versuchen Schritt zu halten mit den sich verändernden technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der gesellschaftliche Dialog um die Chancen und Risiken der Digitalisierung verschafft dem Kompetenzzentrum Digitales Handwerk große Aufmerksamkeit, auch bei bisher eher zurückhaltenden Unternehmen. Teile des Handwerks erleben seit vielen Jahren einen Strukturwandel, ausgelöst bspw. durch Demographie und Globalisierung. Die Digitalisierung verstärkt und beschleunigt nunmehr diesen Strukturwandel, aber schafft auch gänzlich neue unternehmerische Möglichkeiten. Da setzt meiner Auffassung nach die Digitalisierung an, weil die Potentiale der traditionellen Wertschöpfung erweitert werden, durch neue Dienstleistungen, durch Optimierung der Geschäftsprozesse und nennenswerte innerbetriebliche Effizienzsteigerungen, durch das Zusammenwirken unter Zuhilfenahme digitaler Technologien zwischen Kunden und Unternehmen, welche neue und beiderseitige Vorteile verschafft.

KKA: Wie sieht der Status quo der Digitalisierung im Handwerk im Allgemeinen und in der Baubranche im Speziellen aus? In welchen Gewerken der Baubranche sind diesbezüglich die Betriebe aus Ihrer Sicht derzeit am besten aufgestellt?

Pirk: Die Digitalisierung im Handwerk ist aufgrund der Heterogenität hinsichtlich der Gewerke aber auch bezogen auf die verschiedenen Kundengruppen Privatkunden, gewerbliche Kunden, öffentlicher Bereich sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Allgemeinen sind die Handwerksbetriebe auf dem Weg von der Computerisierung  zur Digitalisierung. Dabei erleben wir oft die Problematik, dass einzelne Softwarelösungen in den Betrieben nicht kompatibel sind.  Es wird aber zunehmend eine Vernetzung der IT-Systeme im Betrieb angestrebt und auch neue Möglichkeiten durch mobile Endgeräte, bspw. mobile Zeiterfassung, digitale Bauakte, Visualisierung der Objekte in der Angebotsphase, werden zunehmend genutzt. Der Wandel in den Betrieben hat auch stark mit den grundsätzlich zu automatisierenden Tätigkeiten in den jeweiligen Gewerken zu tun. Wir erleben in der Praxis, dass bspw. die Ausbaugewerbe, speziell die Zimmerer neuen Technologien offen gegenüberstehen. Die Baubranche benötigt aber insgesamt niederschwellige Einstiege in die Digitalisierung, um mittelfristig das Unbehagen vieler Unternehmer und Führungskräfte aus dem Handwerk gegenüber dem digitalen Planen und Bauen abzubauen. Hinzu kommt, dass viele Betriebe ausgelastet sind und in den gewohnten betrieblichen Prozessen erfolgreich am Markt bestehen. Digitalisierung ist eine Investition in die Zukunft.

KKA Welche Schritte sollte ein Betrieb vornehmen, um die Digitalisierung im eigenen Betrieb voranzutreiben? Was muss man dringend tun und was kann man noch eine Weile lassen?

Pirk: Der Wandlungsprozess im Unternehmen orientiert sich an den unternehmerischen Zielen!

Zwei grundsätzliche Fälle können wir beobachten:

Eine Überprüfung und strategische Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle und -­prozesse in Richtung Digitalisierung erfolgt im Idealfall unter Verwendung von Informations-­ und Kommunikationstechnologie kontinuierlich. Potenziale werden dort erschlossen, wo es wirkungsvoll erscheint. (Beispiele dafür sind die Einführung zeitgemäßer IKT-Systeme wie ERP, CRM, Cloud-Technologien, Dienstleistungen auf Basis des Kerngeschäftes wie der Einsatz von VR/AR-Technologien.)

Wenn Digitalisierung das Marktumfeld verändert, aber das eigene Geschäftsmodell und seine Prozesse unverändert bleiben, kann dessen Grundlage entfallen und der Fortbestand des Unternehmens gefährdet werden.

Das digitale Handwerk hat diese Seiten als Herausforderung zu bewältigen. Dabei haben die über 130 Handwerke, welche in ihren Strukturen, Kundengruppen, Angeboten und Dienstleistungen nicht unterschiedlicher sein könnten, individuelle Erfolgsfaktoren, um die Digitalisierung zu bewältigen.

Wir raten deshalb allen Betrieben, einen Berater der Handwerksorganisation anzusprechen und in einem ca. 1,5 stündigen Digitalisierungscheck den Betrieb zu analysieren. Diese Bedarfsanalyse ist ein Instrument, das Handwerksbetrieben Auskunft über den Grad der Digitalisierung in ihrem Unternehmen gibt und Weiterentwicklungspotentiale aufgezeigt. Das kann schon der erste Schritt in eine Digitalisierungsstrategie sein.

KKA: Man kann sicher nicht das gleiche digitale Geschäftsmodell allen Betrieben überstülpen. Hierfür ist eine individuelle Analyse erforderlich. Wo bekommen Betriebe die Infos und die nötige Hilfestellung hierbei?

Pirk: Für die allermeisten Betriebe wird es um eine Erweiterung bzw. Ergänzung des bisherigen Geschäftsmodells gehen. Auf der Unternehmensseite, ich meine also Betriebe mit einer entsprechenden Beschäftigtenstruktur, ist es sicherlich notwendig, eine Überprüfung und strategische Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells in Richtung Digitalisierung zu verstetigen. Im Übrigen ist es eine Stärke unseres Mittelstandes, Potenziale dort zu erschließen, wo es wirkungsvoll erscheint. Die Handwerksorganisation unterstützt Unternehmer und Führungskräfte, insb. aus Klein- und Kleinstunternehmen, diesen Prozess durch Beratungs- und Weiterbildungsangebote im Betrieb dauerhaft zu verankern. Das Kompetenzzentrum arbeitet an dieser Schnittstelle mit Information, Praxisbeispielen und Dialogangeboten. Unsere Schaufenster leisten hier konkrete Hilfestellung für Handwerksunternehmen, das eigene Geschäftsmodell zu analysieren und anzupassen. Dieses handwerksspezifische Know-how soll zukünftig möglichst an allen Standorten der Handwerksorganisation mit einer Innovationsberatungsstelle verfügbar sein.

KKA: Wie lassen sich durch digitale Geschäftsmodelle Wettbewerbsvorteile generieren und hat aus Ihrer Sicht das nicht digital agierende Handwerksunternehmen noch eine Zukunft?

Pirk: Man muss sich intensiv mit den Kundenwünschen auseinandersetzen. Hier liegen die Erfolgsfaktoren für ein Geschäftsmodell, und zwar ganz unabhängig ob digital oder analog. Im Handwerk wird es sicher analoge und digitale Geschäftsmodelle nebeneinander geben. Was sich leicht digitalisieren lässt, in der Regel standardisierte Produkte und Dienstleistungen, hat Potential für das Internet. Interessant zu beobachten ist die Startup-Szene und die dortigen handwerksnahen digitalen Geschäftsmodelle.

Spannend wird es dann, wenn Gründer der Startup-Szene und traditionelle Handwerks-Unternehmer einen Weg zur Zusammenarbeit finden. Griffige Beispiele für digitalen Unternehmergeist im Handwerk finden Sie auf unsere Webseite unter „Umsetzungs- und Praxisbeispiele“.


Das Projekt Kompetenzzentrum Digitales Handwerk ist Teil der Förderinitiative „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, die die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen und im Handwerk vorantreiben soll.
Die Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ unterstützt Mittelstand und Handwerk bei Digitalisierung, Vernetzung und Einführung von Industrie 4.0-Anwendungen. Die „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren“ sensibilisieren, informieren und qualifizieren Unternehmen und bieten ihnen praxisnah konkrete Anschauungs- und Erprobungsmöglichkeiten.

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