Kälteerzeugung aus Serverabwärme

Interview mit zwei „HotFlAd“-Projektbeteiligten

Im Forschungsprojekt „Abwärmenutzung aus Kompakt-Rechenzentren (HotFlAd)“ wird ein weitgehend klimaneutrales Kühlkonzept demonstriert, das auf der Nutzung von Abwärme aus IT-Komponenten basiert. Die Lösung kombiniert eine Hot-Fluid-Serverkühlung mit einer Adsorptionskältemaschine und wird derzeit an der TU Berlin in einer Modellinstallation auf Herz und Nieren geprüft. Die KKA-Redaktion führte ein Interview mit den Projektbeteiligten: Simon Hinterholzer, Projektleiter, Borderstep Institut und Bernhard Seibold, Manager Systems Engineering & Vice President der Thomas-Krenn.AG.

KKA: Welche Firmen und Institutionen sind an dem „HotFlAd“-Projekt beteiligt und wie kam diese Forschungskooperation zustande?

Hinterholzer: Die Forschungskooperation kam durch das Netzwerk Energieeffiziente Rechenzentren NeRZ zustande, in dem sich verschiedene Unternehmen im Umfeld von Rechenzentren für eine nachhaltige Entwicklung der Branche engagieren. Durch die Kombination der Technologien verschiedener Unternehmen lassen sich große Energieeffizienzpotenziale erschließen.

Seibold: Folgende Partner haben im „HotFlAd“-Projekt zusammengefunden:

dc-ce RZ-Beratung GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main

TU Berlin, HRI – Hermann-Rietschel-Institut

Tobol GmbH, Leinefelde-Worbis

Thomas-Krenn.AG, Freyung

Borderstep Institut, Berlin

Cloud&Heat, Dresden

noris network AG, Nürnberg

KKA: In der Abwärmenutzung von Rechenzentren steckt offensichtlich viel Potential, das vielerorts jedoch ungenutzt bleibt. Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier eigentlich?

Hinterholzer: In Deutschland sprechen wir bei Rechenzentren mittlerweile von einem jährlichen Stromverbrauch von ca. 16 TWh und die Branche entwickelt sich dynamisch weiter. HotFlAd fokussiert sich auf kleinere Kompaktrechenzentren. Für diese wird ein großes Wachstum prognostiziert. Insbesondere neue Anwendungen sowie der Bedarf an Datenschutz und -souveränität werden dieses Wachstum verstärken.

KKA: Welche Technologien zur Abwärmenutzung werden bereits in Rechenzentren eingesetzt und was ist das technische Novum beim „HotFlAd“-Projekt, das es zu erforschen gilt? Beschreiben Sie die Technologie gerne detailliert.

Hinterholzer: Die Abwärme wird in Deutschland bisher nur in wenigen Ausnahmefällen genutzt. Dies liegt vor allem an den aktuell sehr günstigen Heizkosten, aufgrund derer sich Investitionen in Wärmeleitungen von Rechenzentren zu Verbrauchern kaum amortisieren. Außerdem hat die Wärme aus luftgekühlten Rechenzentren eine Temperatur zwischen 30 und 40 °C und ist damit zu kühl für herkömmliche Heizzwecke oder zur Erwärmung von Trinkwasser. Nur wenige Einrichtungen wie z.B. Gärtnereien oder Schwimmbäder können solche Wärme sinnvoll verwerten.

Seibold: Momentan werden hauptsächlich Wärmepumpensysteme zur Abwärmenutzung eingesetzt. Dabei wird bei wasserbasierten Kühlsystemen die warme Seite (ca. 20-25 °C) als Quelle genutzt und durch die Wärmepumpen auf ein höheres und nutzbares Niveau (45-55 °C) gehoben. Damit können z.B. lokal Büros, Flure und Lager beheizt werden. Momentan gibt es in Frankfurt ein Projekt, bei dem diese Abwärme zur Beheizung eines Wohnviertels eingesetzt werden soll. Im Projekt HotFlAd führen wir Wasser direkt zum Server und erhalten dadurch ein viel höheres Temperaturniveau
(> 55 °C) als bei luftgekühlten Systemen.

Hinterholzer: Diese im Fluid gebundene Wärme hat zwei entscheidende Vorteile: Sie ist aufgrund der hohen Wärmekapazität des Fluids sehr gut transportabel, zugleich ermöglicht das höhere Temperaturniveau ein weitaus größeres Anwendungsspek­trum. In HotFlAd wird damit ein Adsorptionsprozess angetrieben – also ein Prozess, der aus dieser Wärme wiederum Kälte im Bereich von 10-15 °C erzeugt. Damit können andere, temperatursensible Prozesse im Rechenzentrum oder im Umfeld gekühlt werden. Ansonsten müsste diese Kälte unter zusätzlicher Aufwendung von Elektrizität erzeugt werden – hier wird Wärme genutzt, die ansonsten als Abfall in die Umwelt abgegeben wird.

Seibold: Ja, die so erzeugte Kälte kann für die Versorgung eines Umluftklimagerätes oder anderer Kühlgeräte verwendet werden, die man nach wie vor für die luftgekühlte Informationstechnik im Rechenzentrum nutzt. So können zum Beispiel Speichersysteme (Storage), Netzwerkkomponenten oder auch unterbrechungsfreie Stromversorgungssysteme gekühlt werden.

KKA: Wäre auch ein „HotFlAb“-Projekt denkbar – also Absorptions- statt Adsorptionskälte?

Seibold: Absorptionskältemaschinen benötigten für ihren Prozess meist eine höhere Medientemperatur (mindestens 75-80 °C, im Mittel um die 120 °C).

Hinterholzer: Rein vom Prozess wäre das schon denkbar, jedoch sind die aktuell am Markt verfügbaren kleinen Systeme für niedrige Temperaturen unter 80 °C mit Adsorption derzeit wesentlich besser für diese Anwendung geeignet.

KKA: Wie schneidet das System in Bezug auf Energieeffizienz, Umweltverträglichkeit, Investitions- und Betriebskosten im Vergleich zu konventionellen Kühlmethoden in Rechenzentren ab? Wo liegen die Vorteile, bzw. welche erhoffen Sie sich?

Hinterholzer: Noch laufen die Messungen im Labor- und Feldversuch. Dennoch ist zu erwarten, dass mit dem Konzept eine hohe Steigerung der Energieeffizienz gegenüber herkömmlichen Methoden möglich sein wird.

Neben den Energieeinsparungen bietet das System auch große Vorteile, da keine fluorierten Treibhausgase verwendet werden, welche zu direkten Treibhausgas-Emissionen an Rechenzentren führen. Deren Verwendung wird deshalb in der EU durch die F-Gase-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 517/2014) in den kommenden Jahren stark reduziert. Außerdem ist die Verwendung bei neueren Rechenzentren ein Ausschlusskriterium zur Erreichung des Umweltzeichens Blauer Engel.

Seibold: Bis zum aktuellen Stand wurden zwei Testanlagen errichtet. Die eine befindet sich im Forschungs- und Test-Rechenzen­trum an der TU Berlin, dort im Hermann-Rietschel-Institut, an der die generelle Eignung der Anlagenkonfiguration untersucht werden soll. Der eigentliche Feldtest zur Erprobung unter nahezu realen Bedingungen wird mit der zweiten Testanlage bei der noris networks AG umgesetzt.

Momentan sind wir in der Auswertung der ersten Messergebnisse aus der Testanlage am Test- und Forschungsrechenzentrum, um einen verlässlichen Startpunkt hinsichtlich der Energieeffizienz der Anlagenkonfiguration und der erwartbaren Betriebskosten zu haben. Weiterhin wird im Vergleich mit den geplanten Leistungsdaten und den ersten realen Messwerten eine mögliche Anpassung und Optimierung der Anlagenkonfiguration vorgenommen.

Die Vorteile dieser Konfiguration liegen im Verzicht auf eine herkömmliche maschinelle Kühlung (und somit einer signifikanten Reduzierung des Strombedarfs), in der Möglichkeit einer Abwärmenutzung und in der effizienten Eigenerzeugung von Kälte für Klimatisierungszwecke im RZ-Bereich. Dies alles unter dem Aspekt der Ressourcenschonung und der Nachhaltigkeit (kein Kältemittel im System).

KKA: Erste Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit liegen bereits vor. Was sind die bisherigen Erkenntnisse und was wird noch genauer unter die Lupe genommen?

Hinterholzer: Das System wurde bereits in diversen Anlagenkonfigurationen getestet, womit bereits Erkenntnisse vorliegen, in welchen Bereichen die technischen Parameter realistisch optimiert werden können. Außerdem wurden bereits Marktuntersuchungen gemacht, wie hoch die Nachfrage an Kompaktrechenzentren in den nächsten Jahren werden kann. Hier ist in den kommenden Jahren ein stark wachsender Markt zu erwarten, mit bis zu vierstelligen Absatzzahlen in Deutschland.

KKA: Was fordern die Betreiber von Rechenzentren in Bezug auf die Serverkühlung, bzw. wird das „HotFlAd“-Prinzip diesen Anforderungen gerecht?

Seibold: Betreiber von Rechenzentren fordern eine effiziente und zuverlässige Technik. Es muss gewährleistet sein, dass die im Server entstehende Abwärme permanent abgeführt wird und dabei die vorgeschriebenen Umgebungsparameter der Server eingehalten werden. Mit dem entwickelten Anlagenkonzept des HotFlAd-Prinzips wird dies gewährleistet. Zudem kann mit der gewonnenen Kälte aus dem Adsorptionsprozess die Umgebungsluft der Server-Racks klimatisiert werden, um die entstehende Abwärme z.B. aus Netzteilen, Netzwerken etc. abzuführen.

Hinterholzer: In den letzten Jahren ist vor dem Hintergrund der Debatte um den Klimawandel außerdem das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus gerückt. Da HotFlAd aus dem Netzwerk energieeffiziente Rechenzentren entstanden ist, lag von Anfang an hierauf ein ganz besonderes Augenmerk. HotFlAd stellt in Bezug auf einen nachhaltigen Rechenzentrumsbetrieb ein absolutes Novum dar, in dem alle Energie­umwandlungen sowie die Nachnutzung von Wärme integraler Bestandteil sind.

KKA: Eignet sich die Technologie für alle Arten und Größenordnungen von Rechenzentren? Wo liegen ggf. die Grenzen in Bezug auf Leistung und geographische Lage – Stichwort Außentemperaturen?

Hinterholzer: In HotFlAd wird das System für ein schlüsselfertiges Kompaktrechenzentrum in Containergröße optimiert. Der technische Prozess der Kälteerzeugung aus Abwärme mit der Kombination von Hot-Fluid-Computing und Adsorption dagegen lässt sich ohne Probleme nach oben skalieren. In welchen Bereichen der Außentemperaturen das System noch seine Leistungsdaten einhält, ist derzeit noch Gegenstand der Untersuchungen.

Seibold: Um es noch etwas zu konkretisieren: In einer späteren Projektphase wird das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit die Marktpotenziale der Lösung untersuchen und die möglichen Energieeinsparpotenziale ermitteln. Dabei werden zwei Anwendungsfälle betrachtet: Nicht-Wohngebäude mit Serverraum und Edge-Rechenzentren als kompakte Einheit. Damit wird auch schon der Einsatzbereich der entwickelten Anlagenkonfiguration beschrieben. Er wird im ersten Schritt in einer Leistungsgröße von 30-200 kW liegen.

Das Anlagensystem sollte weltweit funktionieren. Gewisse Gebäudeparameter sollten schon eingehalten werden, um z.B. den Einfluss von Strahlungswärme zu begrenzen. Die zugehörigen Rückkühler können in ihrer Leistung der entsprechenden Umgebung selektiert werden. Sie übernehmen eine Notkühlfunktion bei Nichtabnahme von Kälte oder Abwärme z.B. bei Wartungs- oder Instandhaltungsmaßnahmen.

KKA: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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