RLT-Anlagen und COVID-19 - Interview zur VDMA-Infomationsschrift

Dr. Henrik Badt, Geschäftsführender Gesellschafter der Kalthoff Luftfilter und Filtermedien GmbH
Bildquelle: Kalthoff Luftfilter und Filtermedien GmbH

Dr. Henrik Badt, Geschäftsführender Gesellschafter der Kalthoff Luftfilter und Filtermedien GmbH
Bildquelle: Kalthoff Luftfilter und Filtermedien GmbH
Dr. Henrik Badt, Geschäftsführender Gesellschafter der Kalthoff Luftfilter und Filtermedien GmbH, ist Vorstandsmitglied des Fachverbandes Allgemeine Lufttechnik und Vorsitzender des Arbeitskreises Luftfilter im VDMA. Im Interview beantwortet der promovierte Chemieingenieur aktuelle Fragen zur VDMA-Informationsschrift „Betrieb und Nutzung von lüftungstechnischen Anlagen in Zeiten von COVID-19" sowie zum Thema Schutzausrüstung und Atemschutzmasken. 



Herr Dr. Badt, was hat den Arbeitskreis Luftfilter dazu veranlasst, die Informationsschrift zu raumlufttechnischen Anlagen in Zusammenhang mit COVID-19 zu veröffentlichen?

Eine derartige neue, international relevante Ausnahmesituation erfordert zu allererst eine klare Informationslage.

Der VDMA Arbeitskreis Luftfilter hat die derzeitig bekannten Informationen zum Coronavirus SARS-CoV-2 mit dem Expertenwissen aus den Gremien zusammengeführt, um Handlungsstrategien für Nutzer von Raumluft- und Filtertechnik zu ermöglichen.

Der Haupt-Übertragungsweg von SARS-CoV-2 durch Tröpfchen-Infektion ist hinlänglich bekannt. Und es drängt sich dabei zwangsläufig die Frage auf, ob und wenn ja, welchen Einfluss Lüftungs- und Klimaanlagen auf die Verteilung oder die Verringerung von virenbehafteten Aerosolen - also Kleinsttröpfchen - in der Luft haben, und wie Filtrationstechniken in Gebäudesystemen wirken.


Können Luftfilterhersteller zur Versorgung mit Schutzausrüstung einen Beitrag leisten?

Jede Branche, besonders die der Medizinprodukte und Schutzausrüstungen, hat seine eigenen Anforderungen und Kompetenzen. 

Wir Luftfilterhersteller verfügen über profunde Kenntnisse zur Filtration von Aerosolen und zur Konfektionierung von textilen Filtermedien. Denn schließlich sorgen wir in unserem Alltag - bildlich gesprochen - für die Schutzmaske von raumlufttechnischen Anlagen.

Dennoch scheinen bei der Herstellung von Atemschutzmasken wesentliche Prozessschritte eine Rolle zu spielen, die in der Kürze der Planungszeit nur unter Akzeptanz von angemessenen Kompromissen zu erbringen sind.


Die grassierende Corona-Pandemie und die damit verbundenen Engpässe in der Versorgung mit Schutzausrüstung sind eklatant. Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel sind seit Wochen Mangelware und der Bedarf steigt weiter. Erste Unternehmen der Filterbranche stellen bereits Teile der Produktion um und unterstützen bei der Herstellung dringend benötigter Medizinprodukte. Inwieweit gibt es seitens der Regierung hierzu konkrete Anfragen an die Unternehmen Ihrer Branche?


Seitens des Bundes erreichte uns Anfang April eine Ausschreibung zur Belieferung von Schutzausrüstung für deren Bearbeitung nur eine knappe Zeitspanne zur Verfügung stand.

Zudem wurden Zusage hinsichtlich Produktionskapazitäten abverlangt, die selbst für den ambitionierten Mittelstand eine hohe Hürde darstellen.
Aus unserer Sicht ist ein derartiges Engagement eher auf Unternehmen zugeschnitten, die aufgrund der Corona-Krise ihr Stammgeschäft zurückgefahren haben und daher auf alternative Produktionen umsteigen können.

Die regulären Beschaffungswege für ein nur scheinbar simples Produkt wie die Atemschutzmaske sind jedoch nicht frei von Hürden. Für zertifizierbare Schutzmasken gibt es Anforderungen an Rahmenbedingungen hinsichtlich Produktion, Vliesmaterial, Form, Leckageminimierung usw. Diese müssen gemeistert werden. 


Mittlerweile gibt es mehrere Kooperationen zwischen Filter- und Textilherstellern, um gemeinsam den akuten Bedarf an Atemschutzmasken abzudecken. Stehen die Unternehmen der Filtertechnik aktuell auch untereinander im Kontakt, um mögliche Synergien zur weiteren Bedarfsdeckung zu ermitteln?

Der seit Jahren etablierte VDMA Arbeitskreis Luftfilter hat per se einen Schwerpunkt beim technischen Informationsaustausch, der Kommentierung und auch bei der Erstellung normativer Regelwerke. Die Expertise liegt eindeutig auf der Herstellung von Filtrationstechnik für Klima- und Lüftungssystemen in Gebäuden, für Prozessluftanlagen, aber auch in Fahrzeugen. Für die Sicherstellung einer mittelfristigen und zukünftigen deutschen Produktionskapazität ist es sinnvoll, das Wissen aus den Bereichen Filtrationstechnik -sprich Lufttechnik, Textilmaschinen und Medizintechnik - allesamt im VDMA organisierte Branchen - zu nutzen. Die Koordinierung hat hierbei die VDMA Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik übernommen.


Mit der Empfehlung (EU) 2020/403 vom 13. März 2020 über Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der COVID-19-Bedrohung, hat die Europäische Kommission den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unter anderem die Möglichkeit eröffnet, auch Atemschutzmasken ohne CE-Kennzeichnung organisiert zu kaufen, sofern sichergestellt ist, dass diese Produkte nur medizinischen Fachkräften und nur für die Dauer der derzeitigen Gesundheitsbedrohung zur Verfügung stehen und dass sie nicht in die normalen Vertriebskanäle gelangen und anderen Verwendern zugänglich gemacht werden. Inwiefern bestärkt diese Tatsache weitere Unternehmen der Branche, sich mit dem Thema einer möglichen Maskenproduktion auseinanderzusetzen?

In Zeiten großer Not ist die Lockerung bestimmter Regeln und Anforderungen zunächst richtig und nachvollziehbar. Dadurch entstehen Spielräume zur Beschaffung von Daten, Qualifikationen, Erfahrungen und zum Verständnis von Marktgesetzen. Eine Investitionsentscheidung für die längerfristige Sicherstellung der nationalen Versorgung mit Schutzausrüstung wird sich jedoch selbstverständlich an den geltenden, grundlegenden Anforderungen für die Schutzmittelproduktion ausrichten müssen, es geht schließlich um Sicherheit und Gesundheit. 

Zuletzt werden investierende Unternehmen zuverlässig Klarheit benötigen, mit welchen Maßnahmen die Europäische Gemeinschaft tatsächlich die Produktion derartiger Produkte dauerhaft in der EU etablieren möchte. Hier braucht es mutige politische Entscheidungen und neue Marktgesetze, die über die Corona-Krise hinausreichen.

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