„Wir holen die CO2-Potentiale aus den Kältemitteln“

Energiemanagement im Einzelhandel

Der deutsche Einzelhandel durchlebt schwierige Zeiten. Denn im Gegensatz zum Onlinewettbewerb mit „Wohnzimmerfeeling“ stellt die Branche das Einkaufserlebnis des Kunden in den Mittelpunkt. Die dafür benötigten Verkaufsflächen werden dank großer Investitionen immer energieeffizienter betrieben – dennoch steigen dafür die Kosten. Aber wie ist das möglich?

Benjamin Chini hatte keine guten Nachrichten für die 214 Teilnehmer des EHI-Energiemanagement-Kongresses Mitte November 2016 in Köln. Der Projektleiter „Energiemanagement“ präsentierte die jährlich erhobenen Studienergebnisse über Energieoptimierungsmaßnahmen im Einzelhandel (siehe Infokasten zur EHI-Studie). Zwar greifen die Investitionen der letzten Jahre sowohl im Food-, als auch im Nonfood-Bereich. Die positiven Auswirkungen sind weiter sinkende Energieverbräuche für Wärme, Kälte und Strom, ermittelt in kWh pro m² Verkaufsfläche und Jahr. Leider aber stagnieren die damit verbundenen Betriebsausgaben. Und was noch schlimmer ist: Für die kommenden beiden Jahre rechnen die befragten Händler mit einem Anstieg dieser Kosten. Dafür sorgen die zukünftig anwachsenden staatlichen Abgaben (Stromsteuer, EEG-Umlage) und vor allem immer höhere Netznutzungsentgelte für Maßnahmen der Energiewende in Deutschland. Die Potenziale, um diesen Negativtrend durch Energieeinsparungen zu kompensieren, sinken hingegen so langsam.

Betrachtet man nun die Rolle des Handels im Energiesystem der Zukunft, dann war aus Sicht des Kälteanlagenbaus wohl das eher beiläufig gefallene Titelzitat die prägnanteste Aussage des gesamten Kongresses. „Die großen CO2-Einsparpotentiale werden wir nicht aus Einsparungen, sondern aus den Kältemitteln holen!“

Damit brachte Jan-Oliver Heidrich, Geschäftsführer Energie-Handels-Gesellschaft mbH & Co.KG, während einer Podiumsdiskussion auf den Punkt, was bei Neuanlagen längst zu einem Umdenken der Systemtechnik geführt hat. Es ist aber vor allem der große Anlagenbestand und dessen Umstellung auf Kältemittel mit einem möglichst niedrigen Treibhauspotential, idealerweise auf natürliche Lösungen, um die geforderten Klimaziele zu erreichen.

Ein Beispiel dafür lieferte Aldi-Süd. Dort werden alle Filialen bis 2020 auf CO2 und Propan umgestellt sein. (siehe Infokasten zum EMA Award). Mit ähnlichen Gedankenspielen befasste sich auch Thilo Wierzock von der Edeka Nord. Der große Unterschied: Die Edeka Nord ist ein genossenschaftlicher Verbund von rund 4000 Einzelhändlern. Darum ist Marktbetreiber in vielen Fällen nicht gleich Markteigentümer. Wer investiert dann also in einen Marktumbau? Er zeigte aber Bestandsmärkte, die durch intelligente Sanierungsmaßnahmen der Kälte-, Klima- und Gebäudetechnik und durch ein professionelles Energiemanagement sowie Monitoring heute als Leuchtturmobjekte gelten. Was nachhaltige Kältetechnik anbelangt, war der Hinweis eines Kongressteilnehmers ein überzeugendes Argument – egal ob Marktbetreiber oder -eigentümer –, dass alle Pflichten, die aus der F-Gase-Verordnung resultieren, keine Gültigkeit für Anlagen mit natürlichen Kältemitteln hätten. Ein Argument, dass großes Gewicht bei jeder Investitionsentscheidung in Kältetechnik haben sollte.

Das EHI Retail Institute

Das EHI Retail Institute ist ein Forschungs- und Beratungsinstitut für den Handel und seine Partner. Sein internationales Netzwerk umfasst rund 750 Mitgliedsunternehmen aus Handel, Konsum- und Investitionsgüterindustrie sowie Dienstleister. Das EHI erhebt wichtige Kennzahlen für den stationären und den Onlinehandel, ermittelt Trends und erarbeitet Lösungen. Im Arbeitskreis „Kältetechnik“ sind Kälteanlagenbauer, Kühlmöbelhersteller, Kältefachplaner, Kälteanlagenbetreiber, sowie Komponentenhersteller vertreten. Der Arbeitskreis „Energiemanagement“ setzt sich zusammen aus Energieverantwortlichen des Food- und Nonfood-Handels (Energiemanager, Architekten, Bauleiter, TGA-Verantwortliche, Facility-Manager, Energiecontrollingverantwortliche, Verantwortliche für Immobilien und Mietwesen, etc.) sowie Hersteller und Dienstleister aus allen für das Energiemanagement im Handel relevanten Gewerke. Mitglied eines Arbeitskreises kann grundsätzlich jedes EHI-Mitglied werden, das den Themen nahe steht.

EMA Award 2016

Im Rahmen des EHI-Kongresses wurde der EHI-Energiemanagement Award 2016 (EMA) vergeben. Die Auszeichnung geht jährlich an Handelsunternehmen für das beste Konzept zur Einsparung und zum Ressourcen schonenden Einsatz von Energie in den Verkaufsstellen.

 
Vorbildlich effizient
In der Kategorie „Filialunternehmen“ gewann Aldi Süd für sein ganzheitliches und filialübergreifendes Konzept zur Steigerung der Energieeffizienz. Damit überzeugte das Unternehmen die Jury bereits zum zweiten Mal. Die Juroren lobten vor allem die Etablierung eines übergeordneten Managements für Energie, die Übertragbarkeit und hohe Vorbildwirkung der durchgeführten Maßnahmen sowie die Ganzheitlichkeit der Projekte. Die Entwicklungen bei Aldi Süd seit der ersten Auszeichnung 2008 bestärken den damals gewählten Managementansatz, der hohe Investitionen in nachhaltige Technologien ermöglicht und so die Energieeffizienz im Filialnetz überdurchschnittlich zügig und konsequent erhöht. So wurden die umweltfreundlichen Konzepte zur Warenkühlung, Klimatisierung und Beleuchtung weiterentwickelt und bereits über den weit überwiegenden Teil der Bestandsmärkte ausgerollt. Das Unternehmen setzt seit 2010 bei allen Neubauten für die Kälteanlage das Kältemittel CO2 ein und stattet seit 2016 auch alle Neuanlagen in Bestandmärkten damit aus. Bereits heute werden alle Kühltruhen bei Aldi Süd mit Propan betrieben. Auch das Konzept zur Eigenstromerzeugung wurde ausgebaut. Auf mehr als 1000 Marktdächern befinden sich PV-Anlagen zur Energiegewinnung.


Vorbildlich nachhaltig
Den Award in der Kategorie „Selbstständiger Einzelhändler“ gewann der Sportfachhändler Intersport Postleb aus Landau. Als herausragend wurde das umfassende und vorbildlich integrierte Energieeffizienz- und Nachhaltigkeitskonzept gewürdigt, welches neben energieeffizienter Anlagentechnik sowie Einbeziehung regenerativer Energien zur Eigenstromerzeugung einen besonderen Schwerpunkt auf Umwelt- und Sozialbewusstsein legt. Neben der Photovoltaikanlage kommt zur Erhöhung des Eigenstromanteils eine Brennstoffzelle zum Einsatz. Es wurde also in besonders innovative und zukunftsweisende Technologien investiert. Das Ergebnis der energetischen Sanierung: Das Unternehmen spart rund 44 % seines bisherigen gesamten Energieverbrauchs ein und liegt damit gut 50 % unter dem vom EHI ermittelten durchschnittlichen Energieverbrauchswert für Bekleidungsfachgeschäfte.

EHI-Studie zur Energieoptimierung im Handel

Die Investitionen des Lebensmitteleinzelhandels in Energieeffizienzmaßnahmen sind in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Das geht aus der neuen EHI-Studie „Energiemanagement im Einzelhandel 2016“ hervor. Vor allem die umsatzstarken Filialisten haben mehr und langfristig investiert. Gesunken sind erneut die Energiekosten (Daten von 2015), wenn auch deutlich weniger als im Vorjahr. Sie liegen pro Jahr und m² Verkaufsfläche im Food-Handel aktuell bei 57,31 € und im Bereich Nonfood bei 31,52 €. Im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich jeweils eine Kostensenkung von knapp 2 % (im Vorjahr waren es noch 6 %). Das ist vor allem auf deutliche Energieeinsparungen von 4,8 % im Food-Handel und 5,8 % im Nonfood-Handel zurückzuführen. Besonders ausschlaggebend für diese Entwicklung sind nach wie vor die Umstellung konventioneller Beleuchtungssysteme auf LED-Technik, der Einsatz energieeffizienterer Kältetechnik, sowie eine optimierte Gebäudetechnik. Diese beinhaltet insbesondere die Regelung von Klima-, Lüftungs- und Heizungsanlagen. Ein aktives Energiemanagement, das über Monitoring-Systeme Schwachstellen beim Verbrauch transparent macht, bildet bei Filialunternehmen zunehmend die Grundlage zur Einleitung solcher Maßnahmen.

 
Hoher Invest in Kältetechnik
Über die Hälfte der umsatzstärksten Handelsfilialisten mit mehr als 2,5 Mrd. € haben innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als 25 Mio. € in Energieeffizienzmaßnahmen investiert. Im erhobenen Vorjahr war es nur ein Drittel. Eine ähnliche Entwicklung ist in der Umsatzklasse zwischen 501 Mio. und 2,5 Mrd. € zu beobachten. Hier geben 50 % der Händler an, in den vergangenen fünf Jahren mehr als 5 Mio. € investiert zu haben. Im Vorjahr lag dieser Anteil ebenfalls nur bei etwas mehr als einem Drittel. Mögliche Erklärung sind der finanzielle Aufwand für Energieaudits, der Aufbau von Energiemanagementsystemen sowie die daraus unmittelbar resultierenden Maßnahmen. Die Gruppe der Unternehmen mit einem Nettojahresumsatz bis 500 Mio. € bleibt in ihrem Investitionsverhalten weitgehend stabil. Im Food-Handel entfällt mit 41 % der größte Anteil der Energieeffizienz-Investitionen auf die Kältetechnik. Währenddessen entfallen im Nonfood-Handel 52 % der Investitionen auf die Beleuchtungstechnik.

 
Natürliche Kältemittel
Im Lebensmitteleinzelhandel setzt sich der Trend einer zunehmenden Verwendung natürlicher Kältemittel mit geringem Treibhauspotenzial fort. Zu durchschnittlich rund 94 % kommen in Neubauten moderne Verbundkälteanlagen auf Basis natürlicher Kältemittel (vorwiegend CO2) zum Einsatz. Der geringere Anteil moderner steckerfertiger Kühlmöbel wird vorwiegend mit dem Kältemittel Propan betrieben.

An der Studie „Energiemanagement im Einzelhandel 2016“ haben sich 49 marktführende Handelsunternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt. Das entspricht über 28.000 Handelsfilialen bzw. etwa 43 Mio. m² Verkaufsfläche. Dem Nonfood-Bereich sind dabei 48 % der Befragten, dem Food-Bereich 52 % zuzurechnen. Die Studie kann über das EHI bezogen werden.

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