Hohes Energie-Einsparpotenzial mit KWKK-Anlage

BHKW versorgt Stadtverwaltung mit Wärme, Strom und Kühlung

Die Serverkühlung des städtischen Rechenzentrums Marburg ist ein echtes Vorreiter-Projekt – und ein Energiesparmodell, das auch anderen Kommunen helfen kann, das Defizit in der Stadtkasse zu senken: Seit Herbst 2011 liefert dort ein BHKW Wärme und Strom für das Rathaus und über eine Adsorptionskältemaschine werden die Serverräume gekühlt. Unter dem Strich spart die Stadtverwaltung rund 15 000 Euro pro Jahr.

Moderne Blockheizkraftwerke (BHKW), die auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) z. B. aus Erdgas Wärme und Strom produzieren, finden sich in immer mehr alten und neuen Gebäuden. Die Branche bietet mittlerweile Lösungen vom Micro-System mit um die 1 kW elektrisch und 2,5 kW thermisch für Einfamilienhäuser bis zu Anlagen mit mehreren 100 kW für die Industrie und Energieversorger. Diese Systeme arbeiten besonders kostengünstig, wenn sie hohe Laufleistungen im Jahr erreichen.

In den Sommermonaten, wenn in Gebäuden wenig Wärme benötigt wird, lässt sich ein BHKW mit einer Kältemaschine kombinieren, die die Abwärme des BHKW in Kälte umsetzen, die wiederum zur Kühlung des Gebäudes genutzt werden kann. Über 8000 Betriebsstunden können so erreicht werden, was die Effizienz weiter steigert und über den erzeugten Strom die Energiekosten senkt. Genau hier setzten die Verantwortlichen des Marburger Projektes an.

Serverschränke mit Strom und Kälte versorgen

Etwa 700 Rechner sind in der Marburger Stadtverwaltung im Einsatz. Sie greifen auf Programme und Daten zu, die auf den zentralen EDV-Servern der Stadt abgelegt sind. Damit es dort zu keinem Ausfall kommt, müssen die Server stets gut gekühlt sein. Vor der Neukonzeption haben die Marburger eine Umluftkühlung mit einer 5 % Außenluftzugabe genutzt. Eine Kompressionskältemaschine sorgte für ein konstantes Temperaturniveau von +22 °C.

Um den Vorschriften des Brand-, Wasser- und Einbruchschutzes zu genügen, wurde die Rechnertechnik vor Jahren schon in drei geschlossene Serverschränke mit integriertem Kühlsystem eingebaut. Doch das schlug mächtig auf die Energiekosten: Ein Viertel des gesamten Strombedarfs der Stadtverwaltung fiel auf Kühlung und Ventilation – insgesamt über 40 000 kWh.

Die Stadt holte sich daher professionelle Hilfe beim Energie- und BHKW-Experten Hans Hermann Freischlad aus Haiger (www.whse.de). Der Diplom-Ingenieur analysierte den Wärme-, Strom- und Kältebedarf und realisierte dann zusammen mit dem Kältemaschinen-Hersteller Invensor (www.invensor.com) eine neue Anlage aus BHKW, Kältemaschine und Serverkühlung.

Dreifache Energienutzung

Bei der Kopplung eines BHKW mit einer wärmegetriebenen Kältemaschine liefert die KWK-Anlage Wärme für Heizung und Warmwasser sowie zum Antrieb des Kälteprozesses. Diese Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung (KWKK) reduziert in Marburg den Energiebedarf zur Kühlung der EDV-Server auf weniger als die Hälfte. Während ein Teil des BHKW-Stroms für die Pumpen der wärmebetriebenen Kälteanlage benötigt wird, versorgt der größte Teil das Marburger Rathaus mit günstiger Energie.

Wenn im Sommer der größte Kühlbedarf vorhanden ist, steht die Wärme der BHKW zur Verfügung, da sie nicht zum Heizen benötigt wird. Im Frühling, Herbst und Winter sinkt der Bedarf an Kühlung, sodass die Wärme der BHKW überwiegend zum Heizen eingesetzt werden kann. In der Praxis läuft das im Marburger Rathaus so: Von Oktober bis April kann die Abwärme des BHKW zur Beheizung des Gebäudes genutzt werden. Der Strombedarf reduziert sich dabei deutlich: Die Systempumpen arbeiten mit einer Leistungsaufnahme von nur 80 bis 100 W, und die Ventilatoren des Rückkühlers sind so geregelt, dass die Temperatur beim Rückkühlen gerade Nenntemperatur erreicht. Mit sinkender Außentemperatur werden die Drehzahl und dadurch die Leistungsaufnahme gesenkt.

Der ermittelte Jahresverbrauch von knapp 900 kWh entspricht einer durchschnittlichen Leistungsaufnahme von 100 W. Mit Hilfe einer Temperatur-Datenerhebung konnte gezeigt werden, dass die Freie Kühlung über sieben Monate genutzt werden kann: Der Energiebedarf für das gesamte System inklusive Rückkühlventilatoren liegt dann bei nur etwa 3500 kWh/a. Die in Marburg realisierte Anlage nutzt zusätzlich die freie Kühlung: Wenn weniger Kälte benötigt wird, wird die Kältemaschine überbrückt. Der Energiebedarf beschränkt sich dann auf die Ventilatoren und die Pumpe.

Gute Abstimmung und geringe Wartung

Die Anlage in Marburg besitzt drei verschiedene Kreisläufe: den Kühl- beziehungsweise Kältekreislauf (Verbraucher und Kälteverteilung), einen Antriebskreis (Wärmequelle und Transport zur Kältemaschine) und einen Rückkühlkreis (Ventilatoren, Abgabe der Wärme an die Umgebung). Sowohl auf der Wärme- als auch auf der Kälteseite befindet sich jeweils ein Pufferspeicher. Auf der Wärmeseite ist dies notwendig, da das BHKW vom Typ „Senertec Dachs G 5.5“ mit einer thermischen Leistung 12,5 kW zwar mit einer konstanten Austrittstemperatur von maximal +83 °C betrieben wird, der Massenstrom aber von 0,1 bis 1 m³/h variieren kann. Zum kontinuierlichen Arbeiten benötigt die Adsorptionskälteanlage aber einen möglichst konstanten Volumenstrom von 2 bis 4 m³/h, was einen Pufferspeicher auf der Wärmeseite nötig macht. Eine solche hydraulische Trennung sollte auch auf der Kälteseite vorgesehen werden, falls dort eine ähnlich große Differenz des Volumenstroms zu erwarten ist.

Wärmeabfuhr über die Luft

Der Rückkühlung kommt eine der wichtigsten Aufgaben zu. Die Wärme der Server sowie die benötigte Antriebswärme werden über den Rückkühler abgeführt. In Marburg reicht wegen der gemäßigten Außentemperaturen eine geschlossene Rückkühlung ohne Sprühanlage aus, der maximale Stromverbrauch der Pumpen und Kühlventilatoren beträgt dabei knapp 1 kW. Die EC-Ventilatoren laufen laut Invensor nicht bei voller Drehzahl, bei den Pumpen handelt es sich um eine Systemtrennpumpe, ein Aggregat zum Medientransport in Richtung Kältespeicher sowie ein weiteres zum Rücktransport an die Serverkühler.

Wirtschaftlicher Anlagenbetrieb

Die Anlage im Marburger Rechenzentrum erreicht eine Laufzeit von rund 8000 Betriebsstunden pro Jahr. Dadurch ergibt sich eine Stromproduktion von 44 MWh, die in der Regel durch den Betrieb der Server aufgebraucht werden. Fallen Überschüsse aus der Stromerzeugung des BHKW an, werden diese in das Rathaus eingespeist und verringern dort die Strombeschaffungskosten. Zusätzlich wird der erzeugte Strom vom öffentlichen Netzbetreiber zehn Jahre lang mit 5,11 Ct/kWh vergütet.

Da die jährliche Einsparung rund 15 000 € ausmacht, refinanzieren sich die Investitionskosten inklusive „Backup-Maschine“ von 80 000 € auch ohne öffentliche Zuschüsse in nur rund fünf bis sechs Jahren. Die Stromkosten der Stadtverwaltung reduzieren sich erheblich, da ein knappes Drittel des Stromeigenbedarfs (ohne Kühlung), der sich aus dem Serverbedarf (70 MWh/a) und den Gebäudestromverbrauch (66 MWh/a) zusammensetzt, selbst produziert wird.

Konventionelles Backup für noch mehr Betriebssicherheit

Neben den positiven Umwelt und Kostenaspekten spielte die Sicherheit bei der Entscheidung für das System eine wichtige Rolle – immerhin hängt der komplette Betrieb der öffentlichen Verwaltung mit allen Anwendungsprogrammen am zentralen EDV-Server. Daher wurde ein „Backup“ installiert: Dessen Kompressionskältemaschine hat mit 10,8 kW Nennleistung etwa die gleiche Größenordnung wie die Invensor-Maschine und kann bei Spitzenlasten oder bei der Wartung der KWKK-Anlage eingesetzt werden.

So funktioniert die ­Adsorp­tionskältemaschine

Poröse Feststoffe wie Silicagel und Zeolith, sogenannte Adsorbentien, eignen sich am besten zur thermischen Kälteerzeugung. Beim Adsorptionskälteprozess wird der Umgebung bei sehr niedrigem Druck durch Verdampfen des Kältemittels Wasser Wärme entzogen und somit Nutzkälte erzeugt. Die in Marburg verwendete Adsorptionskältemaschine „Invensor LTC 09“ arbeitet mit zwei Kammern, in denen wechselweise zwei Prozesse gleichzeitig ablaufen: Die eine Kammer saugt das Kältemittel aus dem Verdampfer ab und lagert den Dampf an das Adsorptionsmittel an. Das im Zeolith gebundene Kältemittel in der zweiten Kammer desorbiert und wird als Dampf in die Kammer mit dem Kondensator abgeführt, von wo es in Form von Wasser wieder zum Verdampfer geführt wird. Durch zyklische Umschaltung entsteht ein fast kontinuierlicher Prozess, der Kaltwasser von minimal 5 bis 6 °C erzeugt. Der Vorteil: Im Gegensatz zu Absorptionsmaschinen, die flüssige, meist korrosive oder gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe beinhalten, ist bei dieser Technik kein Umpumpen von Flüssigkeiten nötig. Auch eine Gefahr der Kristallisation des Lösungsmittels bei zu geringer Kältemittelkonzentration besteht nicht.

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