Welche Luftfeuchtigkeit ist die richtige?

Neue Literaturrecherche gibt Empfehlungen

Widersprüchliche Richtlinien, kontroverse Standpunkte und Unsicherheit prägen seit Jahren die Diskussion darüber, ob die Luftfeuchte in Gebäuden verbindlich geregelt werden sollte. Welche Erkenntnisse für eine Mindestluftfeuchte von 40 bis 60 % sprechen, hat aktuell die Technische Hochschule Aachen in einer umfassenden Literaturrecherche zusammengefasst.

Seit der Corona-Pandemie ist die Raumluft in Gebäuden stark in den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten: Empfehlungen zum richtigen Lüften, mediale Aufklärungskampagnen und Förderprogramme des Bundes für die Corona-gerechte Umrüstung von raumlufttechnischen Anlagen unterstreichen die Bedeutung der Luftqualität für den Infektionsschutz. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die 2020 die Luftübertragung virenbeladener Aerosole als Übertragungsweg anerkannt hat. Kaum hörbar sind jedoch in Deutschland konkrete Empfehlungen hinsichtlich der relativen Luftfeuchte. Maßgeblicher Grund dafür sind bislang die geltenden Normen und Richtlinien.

Maximale Luftfeuchte ist definiert

Die Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungen gehen im Regelfall davon aus, dass die Raumluft nicht zusätzlich befeuchtet werden muss. Die Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR) definieren in der ASR A3.6 „Lüftung“ daher lediglich Maximalwerte für die relative Luftfeuchte. Für Büroarbeitsplätze mit üblichen Temperaturen zwischen 20 und 22 °C werden beispielsweise Obergrenzen von 70 bis 80 % relativer Feuchte gesetzt, um vor Schimmelbildung und belastender Schwüle zu schützen. Die Norm DIN EN 15251 „Eingangsparameter für das Raumklima“ (künftig DIN EN 16798 Teil 1) gibt für Neubau und Sanierungen als Empfehlung eine untere Grenze von 25 % und eine obere Grenze von 60 %. Die Norm stellt fest, dass unterhalb des Wertes von 30 % gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten können. Dem gegenüber steht die wissenschaftliche Literatur, die in vielen Veröffentlichungen einen für die Gesundheit des Menschen optimalen Bereich zwischen 40 und 60 % nennt. Welche Aussagekraft dieser häufig genannte mittlere Bereich der Luftfeuchte hat und welche Empfehlung sich daraus ergeben, hat die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) in einer umfangreichen Literaturrecherche [1] analysiert. Die wichtigsten Ergebnisse aus dieser Literaturstudie werden nachfolgend in Bezug auf Atemwege, Virusverbreitung, Augen und Haut zusammengefasst.

Selbstreinigung der Atemwege

Die Wirkung der relativen Feuchte auf die Gesundheit der Atemwege wird unterschieden in einen direkten und einen indirekten Einfluss: Der direkte Einfluss wirkt auf die Abwehrmechanismen des menschlichen Körpers, die verhindern, dass krankmachende Partikel die Atemwege befallen und sich dort vermehren. Dazu gehören die Filterfunktion der Nase, die Selbstreinigungsprozesse der Atemwegsschleimhaut, Immunantworten, sowie weitere Abwehrreaktionen und Zersetzungsprozesse (s. Abb. 1). In den ausgewerteten Literaturquellen gilt es als prinzipiell anerkannt, dass eine geringe niedrige Luftfeuchte zur Beeinträchtigung der körpereigenen Reinigungsfunktion der Schleimhäute und der Abwehrmechanismen des Körpers führt. Das meistgenannte Optimum der relativen Luftfeuchte hinsichtlich der Immunabwehr liegt zwischen 40 und 60 %.

Aerosole und Viren

Indirekt wirkt die relative Luftfeuchte zusätzlich auf die Lebensdauer von Krankheitserregern und auf die Schwebefähigkeit (Suspensionszeit) von Keimtröpfchen. Generell beeinflusst das Umgebungsklima das Infektionsrisiko (s. Abb. 2): Temperatur und Luftfeuchte haben Einfluss auf die Aerosol-Beschaffenheit. Viren werden in Aerosolen transportiert, die aus kleinen Flüssigkeitstropfen, gelösten Salzen und Eiweißen bestehen. Unter trockenen Bedingungen schrumpfen Aerosole schneller, werden leichter und schweben länger in der Luft. Zusätzlich wirken Temperatur und Luftfeuchte auf Stabilität und Lebensdauer der Viren. Je nach Virustyp wird jedoch in der Literatur der Einfluss der relativen Luftfeuchte unterschiedlich analysiert. Beispielsweise werden Influenzaviren bei mittleren und Coronaviren bei mittleren bis hohen relativen Luftfeuchten zu einem maximalen Grad inaktiviert (s. Abb. 3). Hohe relative Luftfeuchten verringern prinzipiell die Schwebezeit von Partikeln und Aerosolen in der Luft, sollten jedoch aufgrund der Gefahr von mikrobiellem Wachstum und Schimmelbildung vermieden werden.

Trockene Augen und Haut

In der Luft vorhandene Partikel können zu Reizungen der Augen und zu Infektionen der Bindehaut führen. Ein intakter Tränenfilm schützt die Augenoberflächen vor Einwirkungen aus der Umwelt und verhindert Augenbeschwerden und Diskomfort. Analysen der wissenschaftlichen Arbeiten zeigen, dass sich bei geringer Luftfeuchte einerseits die Tränenfilmproduktion verringert und andererseits die Lidschlagfrequenz signifikant erhöht. Gegenüber einem idealen Luftfeuchtebereich von 50 bis 80 % geht die Zelldichte der Bindehaut-Becherzellen, in denen der Tränenfilm gebildet werden, bei niedrigen relativen Luftfeuchten stark zurück. Ebenfalls zeigt die Literaturrecherche statistisch relevante Zusammenhänge zwischen trockener Luft und Beeinträchtigungen der Haut. Trockene Raumluft kann die Schutzfunktion der Haut erheblich einschränken. Durch eine spröde und rissige Epidermis können Partikel eindringen und Entzündungen und Dermatosen hervorrufen. Chronische Hauterkrankungen können sich verschlechtern. Signifikante Beeinträchtigungen der Haut werden in den Literaturquellen festgestellt für untersuchte Luftfeuchten unterhalb von 50 %.

Mehr Gesundheit – weniger Fehlzeiten

Als Fazit der Literaturrecherche kommt die RWTH Aachen zu dem Ergebnis, dass bei einer mittleren relativen Luftfeuchte gesundheitliche Beeinträchtigungen der Atemwege, der Augen und der Haut und damit verbundene Fehlzeiten signifikant verringert werden können. In Innenräumen sollte daher, so die Forscher, idealerweise eine relative Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 % geschaffen werden. Gleichzeitig weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die relative Luftfeuchte für jedes der untersuchten Kriterien individuell betrachtet werden müsse. Dies gelte insbesondere für die Inaktivierung verschiedener Virustypen (s. Abb. 3).  Die Empfehlung eines konkreten Zielbereiches kann daher immer nur einen Kompromiss darstellen. Insgesamt zeigen sich für den Kompromiss eines mittleren Bereichs der relativen Luftfeuchte jedoch die wenigsten Beeinträchtigungen in Bezug auf den Menschen und seine Gesundheit.

Bedeutung für Gebäudebetreiber und Planer

Die Analyse der Literaturstudie zeigt, dass wissenschaftlich der direkte und indirekte Einfluss der relativen Luftfeuchte auf die Gesundheit in Innenräumen mittlerweile prinzipiell erkannt und belegt ist. Solange die Arbeitsstättenrichtlinien jedoch keine Vorgaben oder zumindest Empfehlungen für eine Mindestluftfeuchte enthalten, wird eine flächendeckende Nachfrage optimaler Innenraumbedingungen nicht zu erwarten sein. Für Betreiber und Planer von gewerblich genutzten Gebäuden wird der Gesundheitsschutz dennoch stetig an Bedeutung gewinnen. Die Prävention vor Atemwegsinfektionen hat die öffentliche Aufmerksamkeit in den vergangenen Monaten nachhaltig auf das Raumklima in Gebäuden gelenkt. Neben einer optimierten Lüftung und Filtersystemen gehört auch eine geregelte Luftfeuchte zum Mix der wirksamen Maßnahmen des Infektionsschutzes. Schutz von Augen, Haut und Stimme sind darüber hinaus gehende Vorteile einer optimalen Luftfeuchte mit Mehrwert für die Gebäudenutzer und für jede Immobilie. Die aktuellen Erkenntnisse und Analysen der RWTH-Literaturrecherche können daher eine gute neue Basis sein, eine zusätzliche Luftbefeuchtung zum Schutz der Gebäudenutzer fundiert zu begründen und für die Neubauplanung oder Sanierung umzusetzen.

Literaturrecherche der RWTH Aachen

[1] F. Nienaber, K. Rewitz, P. Seiwert, D. Müller, Einfluss der Luftfeuchte auf den Menschen und seine Gesundheit, RWTH-EBC Aachen, 2021. Link: https://publications.rwth-aachen.de/record/811532

Die Veröffentlichung von Auszügen der Literaturrecherche und deren Illustrationen erfolgt mit freundlicher Genehmigung der RWTH Aachen. Die Studie wurde im Auftrag des Fachverbandes Gebäude-Klima e. V. (FGK) erstellt.

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