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Gefährdungsbeurteilung richtig durchführen: Neue Regel zum Mutterschutz

Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Unternehmen aller Branchen und Größen mit mind. einem Beschäftigten müssen sie durchführen. Gefährdungsbeurteilungen müssen aktualisiert werden, u.a. wenn neue Vorschriften in Kraft treten. Die neue Regel des Ausschusses für Mutterschutz konkretisiert die Gefährdungsbeurteilung nach § 10 MuSchG. Ziel ist, Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten, dies gilt v.a. auch für besonders schutzbedürftige Personen, wie Schwangere sowie Stillende und damit auch für Ungeborene und Säuglinge. Werden sie bei der Gefährdungsbeurteilung von Anfang an berücksichtigt, sparen Unternehmen Zeit und Geld und arbeiten rechtssicher.

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung umfasst das systematische Ermitteln und Beurteilen bzw. Bewerten möglicher Gefährdungen am Arbeitsplatz sowie das Festlegen erforderlicher Maßnahmen. Als Werkzeug zur Prävention können so Unfälle und Berufskrankheiten verhindert bzw. verringert werden. Die Gefährdungsbeurteilung kann sich auf Arbeitsplatz oder Arbeitsbereich, Tätigkeit, Arbeitsorganisation oder Themen beziehen. Im Fokus können auch Personen stehen, z.B. besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen wie Schwangere, Stillende sowie Jugendliche oder – im Hinblick auf mögliche Pandemien – ältere Beschäftigte oder Mitarbeiter mit Vorerkrankungen.

Geltende Vorschriften

Die Gefährdungsbeurteilung wurde im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) erstmals 1996 geregelt. Im Rahmen von Aktualisierungen folgte u.a. eine verschärfte Dokumentationspflicht. Seit September 2013 müssen auch Gefährdungen betrachtet werden, die sich durch psychische Belastungen bei der Arbeit ergeben. Und schließlich rücken auch Aspekte des Alters sowie des Alterns der Beschäftigten in den Blick. So muss bei älteren Beschäftigten z.B. auch das veränderte Seh- oder Hörvermögen bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Ziel ist eine ganzheitliche Betrachtung, nämlich die menschengerechte Gestaltung der Arbeit. Gesetzliche Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung sind i.W. §§ 5-6 ArbSchG:

Laut § 5 ArbSchG muss der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Gefährdungen können sich ergeben durch:

  • Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
  • physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
  • Gestaltung, Auswahl und Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
  • Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
  • unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten,
  • psychische Belastungen bei der Arbeit.
Neben der Arbeitsorganisation müssen daraus abgeleitete Gefährdungs- und Belastungsfaktoren (s. BG RCI) betrachtet werden. Dabei sind Faktoren der Sammelbegriff für Gefährdungen bzw. Belastungen, die durch gleichartige oder ähnliche Wirkungsweisen gekennzeichnet sind, z.B. mechanische Gefährdung oder psychische Belastungsfaktoren. Nach § 6 ArbSchG besteht Dokumentationspflicht. Während die Form nicht vorgegeben ist, sind die Inhalte festgelegt: Mindestens das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung müssen ersichtlich sein. Zusammengefasste Angaben bei gleichartigen Gefährdungssituationen sind zulässig. Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung ist auch ohne Unterschrift gültig, es empfiehlt sich jedoch zu unterschreiben.

Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz: Neue Regel des Ausschusses für Mutterschutz

Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (MuSchG) ist Teil der allgemeinen Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG. Das MuSchG unterscheidet anlassunabhängige und anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung vor Aufnahme der Tätigkeit, nach neuer Mutterschutzregel als Stufe 1 bzw. Stufe 2 bezeichnet: Nach § 10 MuSchG muss der Arbeitgeber „für jede Tätigkeit die Gefährdungen (Art, Ausmaß, Dauer) beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann.“

Je nach Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung muss der Arbeitgeber ermitteln, ob voraussichtlich keine Schutzmaßnahmen erforderlich werden, Arbeitsbedingungen umgestaltet werden müssen oder die Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz nicht fortgesetzt werden kann. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist auch hier die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend und sinnvoll.

Die Pflicht gilt unabhängig davon, ob Frauen im Unternehmen beschäftigt werden. D.h. auch Organisationen, in denen ausschließlich Männer tätig sind, sind betroffen (Stufe 1 nach § 10 Abs. 1 MuSchG).

Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und Hygiene sowie gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Der Ausschuss für Mutterschutz (AfMu) entwickelt dazu Materialien für die Praxis, sie sollen Unternehmen die Arbeit erleichtern. Im August 2023 wurde nun die erste Regel zu Gefährdungsbeurteilung veröffentlicht: AfMu-Regel (MuSchR) 10.2.23 „Gefährdungsbeurteilung“.

Bei Einhalten bzw. Beachten bereits geltender sowie kommender Regeln und Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die Anforderungen des MuSchG erfüllt sind (Vermutungswirkung).

Nach § 14 MuSchG muss der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung dokumentieren, geforderte Inhalte sind – zusätzlich zu Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und festgelegten Maßnahmen – ein Termin oder Angebot eines Gesprächs mit der betroffenen Frau über Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen. Und die Beschäftigten müssen über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und den Bedarf an Schutzmaßnahmen informiert werden.

Pflichten des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber ist verantwortlich dafür, dass Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden und zwar fachkundig. Nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kann er zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen. Allerdings muss er überwachen bzw. kontrollieren, dass Gefährdungsbeurteilungen tatsächlich durchgeführt werden. Für etwaige Ordnungswidrigkeiten oder sogar Straftatbestände muss der Arbeitgeber rechtlich einstehen (Garantenstellung).

Eine Gefährdungsbeurteilung muss erfolgen, bevor der Beschäftigte seine Tätigkeit beginnt. Und eine Aktualisierung ist erforderlich v.a. bei:

  • Neubeschaffung von Arbeitsmitteln,
  • Einführen neuer Stoffe,
  • Änderung von Arbeits- und Verkehrsbereichen, von Arbeitsverfahren und Tätigkeitsabläufen (Prozesse), der Betriebsorganisation, von gesetzlichen Vorgaben und Einstufungen, des Standes der Technik,
  • Auftreten von Unfällen, Beinaheunfällen, Berufserkrankungen und anderen Erkrankungen,
  • Mitteilung der Beschäftigten über Schwangerschaft oder Stillzeit (Stufe 2 nach § 10 Abs. 2 MuSchG).
Gefährdungsbeurteilungen sind also Dauerthema für Unternehmen. Es lohnt sich daher, systematisch vorzugehen.

Achtung: Wer nach § 10 MuSchG eine Gefährdung nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig beurteilt und eine Schutzmaßnahme nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig festlegt oder gegen die Dokumentationspflicht verstößt, handelt ordnungswidrig. Verstöße werden mit Bußgeldern bis zu 5000,- EUR geahndet (§ 32 MuSchG).

Umsetzung in der Praxis

Eine Gefährdungsbeurteilung muss für jeden Arbeitsplatz im Unternehmen durchgeführt werden, sobald mind. ein Mitarbeiter beschäftigt ist. Allerdings ist bei gleichartigen Arbeitsbedingungen die Beurteilung eines Arbeitsplatzes bzw. einer Tätigkeit ausreichend und auch sinnvoll. Das Thema Mutterschutz muss in jeder Gefährdungsbeurteilung bearbeitet werden.

Die Vorgehensweise ist im ArbSchG nicht festgelegt, die ASR V3 sieht jedoch folgende 8 Schritte vor:

  1. Vorbereiten
  2. Ermitteln von Gefährdungen
  3. Beurteilen der Gefährdungen
  4. Festlegen von Maßnahmen
  5. Umsetzen der Maßnahmen
  6. Überprüfen der Wirksamkeit festgelegter Maßnahmen
  7. Dokumentieren
  8. Fortschreiben
Konkrete Pflichten für den Umgang mit Gefahrstoffen, das Betreiben von Arbeitsmitteln und Arbeitsstätten sind in GefStoffV, BetrSichV bzw. ArbStättV festgelegt. Dazugehörige Technische Regeln (TRGS, TRBS, ASR) liefern mögliche Maßnahmen und Hilfen für die Praxis.

Mögliche Gefährdungen für Schwangere und Stillende

Gefahren für Schwangere bestehen durch Gefahrstoffe, insbesondere solche, die das Kind im Mutterleib schädigen können (keimzellmutagene und fruchtschädigende Stoffe). Daneben bergen auch die Einwirkung von Biostoffen, ionisierender oder nichtionisierender Strahlungen, Erschütterungen, Vibrationen, Lärm, Hitze, Nässe oder Kälte sowie das Heben, Halten und Bewegen von Lasten Gefahren für schwangere Frauen und ihr ungeborenes Kind. Deshalb dürfen Schwangere bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben, wenn dies eine „unverantwortbare Gefährdung“ darstellt. Nach § 9 MuSchG ist eine Gefährdung unverantwortbar, „wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist,“ z.B. dürfen Schwangere ohne mechanische Hilfsmittel weder regelmäßig Lasten von mehr als 5 kg noch gelegentlich Lasten von mehr als 10 kg von Hand heben, halten, bewegen oder befördern (§ 11 MuSchG).

Für Stillende sind v.a. Gefahrstoffe zu berücksichtigen, die als reproduktionstoxisch zu bewerten sind und sich auf die Milchbildung auswirken sowie Blei und Bleiverbindungen, die in den Körper aufgenommen werden können. Mögliche Gefahren stellen auch bestimmte Biostoffe sowie die Einwirkung ionisierender oder nichtionisierender Strahlungen dar. Auch hier sind Tätigkeiten verboten, die eine für stillende Frauen und ihr Kind „unverantwortbare Gefährdung“ darstellen (§ 12 MuSchG).

Für den Umgang mit Gefahrstoffen weisen z.B. entsprechende H-Sätze auf Gefahren für Schwangere und Stillende hin: Insbesondere H-Sätze der 360er- und 361-Reihe sowie H362 sind zu beachten.

„Eine unverantwortbare Gefährdung gilt als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird“ (§ 9 MuSchG). Aufgabe des AfMu wird u.a. sein, den Begriff der unverantwortbaren Gefährdung näher zu definieren.

Praxistipp: Um die Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz durchzuführen und zu dokumentieren, können z.B. folgende Standardtexte verwendet werden:

„Für werdende oder stillende Mütter ergibt die Beurteilung der Arbeitsbedingungen aus derzeitiger Sicht nach §10 MuSchG

  • keine Umsetzung von erforderlichen Schutzmaßnahmen oder
  • eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen nach §13 (1) 1. MuSchG oder
  • dass eine Fortführung der Tätigkeit der Frau an diesem Arbeitsplatz nicht möglich ist.„
Ein Beschäftigungsverbot kann durch den Arbeitgeber oder den Arzt ausgesprochen werden. Beschäftigte werden dann vollständig oder teilweise freigestellt (betriebliches bzw. ärztliches Beschäftigungsverbot).

Übrigens: Eine Schwangere oder Stillende darf eine Tätigkeit mit unverantwortbarer Gefährdung auch dann nicht ausüben, wenn sie dies auf eigene Verantwortung tun will. Fließarbeit und Akkordarbeit sind sowohl für schwangere als auch für stillende Frauen unzulässig.

Mögliche Arbeitshilfen

Berufsgenossenschaften und Unfallkassen bieten branchen- und bereichsspezifische Handlungshilfen, um Unternehmen bei der Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen. Muster-Formulare und Checklisten verschiedener Anbieter können genutzt, müssen jedoch an die betrieblichen Gegebenheiten angepasst werden. Auch zur Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz stellen Berufsgenossenschaften und zuständige Behörden der Länder Arbeitshilfen zur Verfügung.


Bild: QUMsult

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Noch besser als verschiedene Listen und Formulare in unterschiedlichen Formaten ist eine geeignete Software, die Verantwortlichen die Arbeit erleichtert. Besonders interessant sind dabei Lösungen, die allen Beschäftigten jederzeit Zugriff auf stets aktuelle Daten bieten sowie den Import bereits bestehender Dokumente ermöglichen. Ist die Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz bereits integriert, können Verantwortliche gesetzliche Forderungen mit wenig Aufwand erfüllen. Diese Anforderungen erfüllt z.B. die webbasierte HSEQ Software von QUMsult (www.qumsult.de): Daten aus bestehenden Excel-Listen, z.B. BG RCI-Formulare zur Gefährdungsbeurteilung sowie Access- und PDF-Dateien können importiert werden. Zum Mutterschutz können hinterlegte Standardtexte ausgewählt oder eigene Formulierungen erfasst werden.

Fazit

Die Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht des Arbeitgebers: Für jeden Arbeitsplatz bzw. jede Tätigkeit, das Verwenden von Arbeitsmitteln, den Umgang mit Gefahrstoffen und wenn besonders schutzbedürftige Personen wie Schwangere und Stillende beschäftigt werden, müssen Gefährdungen ermittelt und beurteilt sowie erforderliche Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Bei Änderungen, wie z.B. der Mitteilung über Schwangerschaft oder Stillzeit muss eine Aktualisierung erfolgen. Geeignete Software ermöglicht eine systematische Vorgehensweise und entlastet die Verantwortlichen im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Der Nachweis gegenüber Zertifizierer und Aufsichtsbehörde ist jederzeit möglich, Unternehmen arbeiten rechtssicher.

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