Ganzheitliches thermisches Management in Industrieprozessen

Energieeffizienz: Von Silos zu Systemen – Heizen und Kühlen neu denken

Die meisten industriellen Anlagen behandeln die Kühlung und Heizung nach wie vor als getrennte, eigenständige Systeme. Dieses veraltete Denken führt zu Energieverschwendung, höheren Treibhausgasemissionen und unnötigen Kosten. Durch den Wechsel zu einem einheitlichen thermischen Management, bei dem Wärme und Kälte Teil desselben Energiesystems sind, können Unternehmen enorme Effizienz-, Nachhaltigkeits- und Leistungsgewinne erzielen.

Der aktuelle Stand

Heiz- und Kühlprozesse machen einen erheblichen Anteil am weltweiten Energieverbrauch und an den industriellen Emissionen aus. Laut der European Environment Agency trägt der Industrie-Sektor in Europa mit 20-25 % zu den CO₂-Emissionen bei. Und oft werden Heizung und Kühlung noch unabhängig voneinander konzipiert und betrieben, sodass wertvolle Energie – sei es Abwärme aus dem Kühlsystem oder Restwärme aus Heizprozessen – ungenutzt verloren geht.

Die Chance

Ein Umdenken in der Erzeugung, Rückgewinnung und Weiternutzung thermischer Energie ebnet den Weg zu dekarbonisierten Abläufen, höherer Effizienz, optimiertem Energieeinsatz und geringeren Betriebskosten. Integrierte thermische Managementsysteme ermöglichen es, Energie aus Prozessen zurückzugewinnen, umzuwandeln und bedarfsgerecht zu verteilen. Dieser Systemansatz ist der Schlüssel, um Emissionen zu reduzieren, Kosten zu senken und einen echten klimaneutralen Betrieb zu erreichen.

Das Grundprinzip

Das erste Gesetz der Thermodynamik besagt, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur umgewandelt werden kann. Wer thermisch denkt, erkennt, dass die von einer Kältemaschine abgegebene Abwärme an anderer Stelle im Werk als Nutzwärme eingesetzt werden kann.

In der Lebensmittel- und Getränkeproduktion sind präzise Kälte- und Wärmeprozesse essenziell für Lebensmittelsicherheit, gleichbleibende Qualität und lange Haltbarkeit.

In zahlreichen anderen Industrien gewährleisten kontrollierte Temperaturen die Prozessstabilität, Materialintegrität und sichere Lagerung.

Ein ganzheitliches, vollelektrisches Thermosystem erfüllt die Anforderungen effizienter als separate Systeme und Anlagen.

Der Wandel von Einzellösungen zu vernetzten Systemen

Laut McKinsey verbraucht die Industrie weltweit am meisten Energie: 149 Mio. Terajoule im Jahr 2017, davon entfielen 45 % auf Wärmebereitstellung. Die European Heat Pump Association (EHPA) berichtet, dass von den 2.388 TWh Endenergie für Heizen und Kühlen in der Industrie der größte Anteil auf Prozesswärme entfällt.

Traditionell liefern Heizkessel fossile Wärme, während elektrische Kältemaschinen kühlen. Diese getrennte Betrachtung verpasst die Chance, Abwärme gewinnbringend einzusetzen.

Dabei ist zu beachten:

In vielen Prozessen werden simultane Heiz- und Kühlzyklen benötigt.

Kältemaschinen erzeugen als Nebenprodukt Wärme, die meist ungenutzt abgeführt wird.

Zusätzliche Abwärmequellen wie die überschüssige Wärme/Kühlung von Druckluft, dezentrale Kühlkreisläufe oder Lüftungsanlagen lassen sich per Wärmepumpe nutzbar machen.

Moderne Wärmepumpentechnologie erlaubt es, Abwärme für Niedrig- und Mitteldruck-Anwendungen zu nutzen – ganz ohne fossile Brennstoffe.

Abwärme als Ressource

Abwärme ist kein Abfall, sondern ungenutztes Energiepotenzial. Thermische Managementsysteme verwandeln diese kostenlos verfügbare Energie in einen wertvollen Produktionsfaktor. Moderne Wärmepumpen arbeiten mit umweltfreundlichen Kältemitteln und erreichen Effizienzsteigerungen, die fossile Heizsysteme weit hinter sich lassen.

Ein standardmäßiger Wärmepumpen-COP von 3 bis 4 liefert 3-4 kW Nutzleistung pro 1 kW eingesetzter elektrischer Leistung.

Integrierte Heiß- und Kaltwassersysteme können Temperaturen bis 110 °C abdecken.

Eliminierung von CO₂- und NOx-Emissionen vor Ort.

Der Wandel in der Denkweise und die Überwindung von Hindernissen

Ein ganzheitlicher Blick auf das thermische Management senkt Energiebedarf, Emissionen und Betriebskosten. Obwohl Vorbehalte zu Komplexität, Kosten oder baulichen Einschränkungen bestehen, überwiegen die Vorteile:

Höhere Investitionskosten amortisieren sich nach 2-3 Jahren.

Bestehende Gebäude lassen sich in etwa 80 % der Fälle nachrüsten.

Es geht nicht um Neuentwicklung, sondern um die Neuordnung bestehender Energieflüsse.

Praxisbeispiel Organon

Der Pharmakonzern Organon in Oss (Niederlande) setzt seit Mai 2024 dezentrale ­Wärmepumpen von Trane ein, um seine Heizkessel schrittweise zu ersetzen. Zwei Wasser/Wasser-Wärmepumpen („RTSF 070 G“) versorgen eine Druckluftaufbereitungsanlage mit Kühlleistung und speisen die dabei gewonnene Wärme ins zentrale Heiznetz ein.

Jährliche Einsparung: 7.700 GJ (entspricht ca. 243.000 m³ Erdgas).

Weitere Verbesserung: Anpassung der Luftbehandlungsgeräte für die Niedertemperaturheizung.

Ziel: Klimaneutralität bis 2035.

Praxisbeispiel Saint Jean

Der französische Pasta-Hersteller Saint Jean benötigte kurzfristig 150 kW zusätzliche Kühlleistung. Statt einen Chiller nachzurüsten, empfahlen Trane-Ingenieure Wärmepumpen:

Installation von zwei „City RTSF“-Wärmepumpen.

Verbindung mit bestehenden Kältemaschinen zur Abwärmerückgewinnung.

Ersetzen eines 300 kW fossilen Heizkessels.

Ergebnis: 68 % geringere Heizkosten und deutliche Emissionsreduktionen.

Projektdaten

Kühlleistung: 150 kW

Heizleistung: 300 kW

Kaltwassertemperaturen: -8 °C bis -4 °C

Warmwassertemperaturen: bis 60 °C

Der Ausblick: Von der Anlage zur Strategie

Thermisches Management ist mehr als die Wahl von Heizkessel oder Kältemaschine. Es ist eine strategische Entscheidung für Energiesparpotenzial, Dekarbonisierung und Betriebsstabilität. Entscheidend ist das Umdenken: Energie nicht weiter als voneinander getrennte Ströme, sondern als kontinuierlichen Kreislauf zu sehen.

Technologie im Fokus: „Trane City RTSF HAT“

Die „Trane City RTSF HAT“ ist die weltweit erste industrielle Hochtemperatur-Wärmepumpe mit Standardtechnologien für bis zu 110 °C.

· Schraubenverdichter-Technologie und ­Kältemittel R1233zd(E) mit sehr niedrigem GWP.

· COP bis 4,6 unter Standard-Bedingungen.

· Kompaktes Gehäuse (930 mm Breite) für bis zu 380 kW Leistung.

· Steuerung über „Trane Tracer Symbio 800“ für maximale Effizienz und Konnektivität.

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